Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
wie ich es nur wagte. »Erst neulich abends hat Henry zu mir gesagt, wie sehr er sich nach einem Sohn sehnt. Wenn sie jetzt zurückkehrt, verdirbt sie alles.«
»Hat er von deinem Sohn gesprochen?« entgegnete er grob. »Nein. Du machst keine Fortschritte beim König, Mary. Anne hatte recht. Wir kommen einfach nicht voran.«
Ich wandte den Kopf ab und schaute aus dem Fenster. »Und |263| wo, meint Ihr, wird Euch Anne hinbringen?« brach es aus mir hervor.« Sie wird sich nicht für das Wohl der Familie einsetzen, sie wird nicht tun, was man ihr sagt. Sie wird nach ihrem eigenen Vorteil streben, nach ihrem eigenen Land, ihren eigenen Titeln.«
Er nickte. »Ja, sie ist eine sehr selbstsüchtige Frau. Aber er fragt immer wieder nach ihr, er begehrt sie mehr, als er dich je wollte.«
»Er hat zwei Kinder mit mir!«
Die dunklen Augenbrauen meines Onkels schossen in die Höhe, als ich meine Stimme erhob. Sofort senkte ich den Kopf wieder. »Es tut mir leid. Aber was kann ich denn sonst noch machen? Was kann Anne tun, das ich nicht getan habe? Ich habe ihn geliebt, das Bett mit ihm geteilt und ihm zwei gesunde Kinder geboren. Keine Frau könnte mehr tun. Nicht einmal Anne.«
»Vielleicht kann sie mehr«, erwiderte er. »Wenn sie jetzt von ihm ein Kind empfängt, dann würde er sie vielleicht heiraten. Er verlangt so sehr nach ihr, daß er möglicherweise so weit gehen könnte. Er begehrt sie, er will ein Kind, und die beiden verzweifelten Wünsche könnten zusammenfallen.«
»Und was ist mit mir?« rief ich aus.
Er zuckte die Achseln. »Du kannst zu William zurück«, erwiderte er, als sei das alles völlig gleichgültig.
Einige Tage später kehrte Anne so diskret an den Hof zurück, wie sie ihn verlassen hatte, und stand noch am gleichen Tag wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ich hatte meine Bettgenossin und Gesellschafterin wieder. Nun schnürte ich ihr das Mieder, wenn wir morgens aufwachten, und kämmte ihr abends das Haar. Jetzt stand ich in ihren Diensten, so wie sie vorher mir zu Diensten sein mußte.
»Hattest du keine Angst, daß ich ihn in der Zwischenzeit zurückerobern könnte?« fragte ich neugierig, während ich ihr das Haar bürstete, ehe wir zu Bett gingen.
»Du bist nicht wichtig«, antwortete sie selbstbewußt. »Kein bißchen. Dieser Frühling gehört mir, und es wird auch mein Sommer werden. Ich lasse ihn wie eine Marionette tanzen. Er |264| wird meinem Zauber nicht entrinnen können. Es ist völlig gleichgültig, was du machst – oder irgendeine andere Frau. Er ist vernarrt in mich. Jetzt muß ich nur noch die Hand nach ihm ausstrecken.«
»Einen Frühling und einen Sommer lang?« fragte ich.
Anne schaute versonnen drein. »Oh, wer kann einen Mann schon lange halten? Er reitet auf der Welle seiner Begierde, aber niemand bleibt ewig verliebt.«
»Wenn du ihn heiraten willst, mußt du ihn länger halten. Meinst du, du kannst ihn ein ganzes Jahr an dich binden? Zwei Jahre?«
Ich hätte laut auflachen mögen, als ich sah, wie das Selbstbewußtsein aus ihrem Gesicht wich.
»Wenn er frei ist und wieder heiraten könnte, wenn er überhaupt je freikommt, dann wird er jedenfalls nicht mehr scharf auf dich sein. Dann geht dein Stern sicher bereits unter, Anne. Und du bist halb vergessen. Eine Frau, die ihre besten Jahre hinter sich hat, fünfundzwanzig Jahre alt und noch unverheiratet.«
Sie ließ sich aufs Bett fallen und schlug auf die Kissen ein. »Beschrei es nicht!« schimpfte sie. »Mein Gott, manchmal hörst du dich an wie ein altes Weib. Ich kann alles erreichen.
Dein
Stern wird sinken, denn du bist zu träge, um dein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ich dagegen wache jeden Tag auf und bin wild entschlossen, alles nach meinem Willen zu formen. Für mich kann alles wahr werden.«
Im Mai waren die Verhandlungen mit den französischen Gesandten beinahe abgeschlossen. Prinzessin Mary sollte, sobald sie zur Frau herangereift war, entweder den französischen König oder seinen zweiten Sohn heiraten. Man hielt zur Feier des Tages ein großes Tennisturnier ab. Anne sollte die Reihenfolge der Spieler festlegen. Sie machte viel Aufhebens um eine Tafel, auf der alle Männer bei Hof verzeichnet waren. Sie hatte die Namen auf kleine Fähnchen geschrieben. Als der König kam, war sie gerade über die Tafel gebeugt und hielt gedankenverloren eine kleine Fahne ans Herz gedrückt.
|265| »Was habt Ihr da, Mistress Boleyn?«
»Es geht um die Reihenfolge der Spieler beim
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