Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
rufe Gott und die ganze Welt zu meinen Zeugen auf, daß ich Euch stets eine treue, ehrerbietige und gehorsame Ehefrau gewesen bin. Zwanzig Jahre und länger bin ich nun schon Eure treue Gattin, und wir hatten viele Kinder, wenngleich es dem Herrn gefallen hat, sie zu sich zu berufen. Als Ihr mich zum ersten Mal besaßet, da kam ich als reine Magd zu Euch, von keinem Mann vorher berührt …«
Henry rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her und schaute flehentlich zum Vorsitzenden des Gerichts, er möge sie unterbrechen, doch sie wandte ihre feurigen Augen keinen Augenblick von seinem Gesicht.
»Ob das wahr ist oder nicht, überlasse ich Eurem Gewissen.«
»Das kann sie doch nicht tun!« zischte Anne ungläubig. »Sie muß ihre Anwälte anweisen, für sie Zeugnis abzulegen. Sie kann nicht einfach in aller Öffentlichkeit mit dem König reden.«
»Sie macht es aber«, erwiderte ich.
Im Saal herrschte Totenstille. Alle lauschten der Königin. Henry war bleich und wand sich vor Verlegenheit. Ich mußte lächeln, war entzückt, denn Katherine von Aragon sprach für alle Frauen des Landes, für alle guten Ehefrauen, die kein Ehemann verstoßen durfte, nur weil er Gefallen an einer anderen gefunden hatte.
|329| Katherine legte ihre Sache in die Hände Gottes und des Gesetzes. Als sie zu Ende gesprochen hatte, brach im Saal ein Tumult los. Die Erregung übertrug sich auch auf die Menschen vor dem Saal und außerhalb der versperrten Klosterpforten; sie sagten Katherines Worte weiter und verkündeten lautstark ihre Unterstützung für die wahre Königin von England.
Anne brach in Tränen aus, halb lachend, halb weinend. »Sie wird mein Tod sein oder ich der ihre!« schwor sie. »Gebe Gott, daß ich ihren Tod erlebe, ehe sie mein Untergang wird.«
|330| Sommer 1529
Es hätte für Anne der Sommer ihres Triumphes sein sollen. Endlich tagte das Gericht des Kardinals Campeggio, das über die königliche Ehe entscheiden sollte, und das Ergebnis stand bereits vorher fest, ungeachtet der Überredungskünste der Königin. Kardinal Wolsey war Annes erklärter Freund und Hauptbefürworter, der König von England war so verliebt wie eh und je, und die Königin war nach ihrem Augenblick des Triumphs in den Hintergrund getreten, ließ sich nicht einmal mehr bei Hof sehen.
Aber der Sommer brachte Anne wenig Freude. Als sie hörte, daß ich meine Kisten packte, um die Zeit mit meinen Kindern in Hever zu verbringen, kam sie ins Zimmer gestürzt.
»Du kannst mich unmöglich allein lassen, solange das Gericht noch tagt. Ich brauche dich an meiner Seite.«
»Anne, ich kann nichts für dich tun. Die eine Hälfte verstehe ich nicht, die andere mag ich nicht hören. Mich interessiert nicht, was Prinz Arthur am Morgen nach der Hochzeitsnacht gesagt haben soll, der Klatsch der Bediensteten von ehedem auch nicht. Ich will es nicht hören.«
»Glaubst du denn, ich will das?« herrschte sie mich an.
Der wilde Unterton in ihrer Stimme hätte mich warnen sollen. »Ich denke schon, denn du bist ja ständig im Gerichtssaal«, erwiderte ich. »Aber es ist bald zu Ende, nicht wahr? Sie werden erklären, die Königin sei mit Prinz Arthur verheiratet gewesen, diese Ehe sei vollzogen worden, und daher sei die Ehe zwischen ihr und Henry ungültig. Und dann ist es vorbei. Wozu brauchst du da mich?«
»Weil ich Angst habe!« brach es plötzlich aus ihr hervor. »Ich habe Angst! Ich habe ständig Angst. Du darfst mich nicht allein lassen, Mary. Ich brauche dich hier.«
|331| »Also, Anne«, versuchte ich sie zu beschwichtigen, »was hast du denn zu fürchten? Das Gericht hört weder die Wahrheit, noch sucht es danach. Es steht unter Wolseys Befehl, und der ist durch und durch Mann des Königs. Es steht unter dem Befehl von Campeggio, der Weisung vom Papst hat, diese Angelegenheit endlich abzuschließen. Dein Weg ist dir klar vorgezeichnet. Wenn du nicht hier im Bridewell Palace sein willst, dann kannst du in dein neues Haus in London ziehen. Wenn du nicht allein schlafen möchtest, hast du sechs Hofdamen. Wenn du befürchtest, daß der König ein neues junges Mädchen bei Hof hat, brauchst du ihn nur aufzufordern, sie fortzuschicken. Er tut alles, was du willst. Jeder hier tut alles, was du willst.«
»Du nicht!« Ihre Stimme klang nachtragend.
»Muß ich auch nicht. Ich bin nur das andere Boleyn-Mädchen. Ich habe kein Geld, keinen Mann, keine Zukunft, wenn du es nicht sagst. Keine Kinder, es sei denn, man gibt mir die gnädige Erlaubnis,
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