Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
sie zu sehen. Keinen Sohn …« Meine Stimme bebte. »Aber ich habe die Erlaubnis, sie zu besuchen, und ich reite zu ihnen, Anne. Keine Macht der Welt kann mich davon abhalten.«
»Der König kann es«, warnte sie mich.
Ich wandte mich zu ihr um, und meine Stimme war eiskalt. »Hör mir gut zu, Anne. Wenn du ihm sagst, er soll mir verbieten, meine Kinder zu sehen, dann knüpfe ich mich in deinem neuen Palast Durham House an deinem goldenen Gürtel auf, und du sollst auf ewig verflucht sein. Es gibt Dinge, mit denen nicht einmal du spielen darfst. Du wirst mich nicht davon abhalten, meine Kinder diesen Sommer zu sehen.«
»
Meinen
Sohn«, betonte sie.
Ich mußte mein heftiges Verlangen unterdrücken, sie aus dem Fenster zu schubsen, daß sie sich auf den Steinplatten der Terrasse ihren selbstsüchtigen Hals brach. Ich holte tief Luft und hatte mich wieder in der Gewalt. »Das weiß ich«, sagte ich gleichmütig. »Und jetzt reite ich zu ihm.«
Ich ging mich von der Königin verabschieden. Sie war allein in ihren stillen Räumen und stickte an dem riesigen Altartuch. |332| Ich zögerte an der Tür. »Majestät, ich bin gekommen, um Euch Lebewohl zu sagen. Ich verbringe den Sommer mit meinen Kindern.«
Sie blickte auf. Uns beiden war bewußt, daß ich ihre Erlaubnis nicht mehr brauchte, um mich vom Hof zu entfernen.
»Ihr habt Glück, daß Ihr sie so oft sehen könnt«, sagte sie.
»Ja.« Ich wußte, daß sie an Prinzessin Mary dachte, die man seit dem letzten Weihnachtsfest von ihr ferngehalten hatte.
»Aber Eure Schwester hat Euch den Sohn genommen«, bemerkte sie.
Ich nickte. Ich wagte nicht zu sprechen.
»Mistress Anne spielt ein gewagtes Spiel. Sie will meinen Mann und Euren Sohn dazu. Sie will alle Karten in der Hand halten.«
Ich brachte es nicht über mich, zu ihr aufzublicken. Ich fürchtete, sie könnte mir meinen tiefen Groll aus den Augen ablesen.
»Ich freue mich darauf, diesen Sommer fortzugehen«, sagte ich leise. »Es ist sehr freundlich von Euch, mich gehen zu lassen, Majestät.«
Königin Katherine warf mir ein kleines, aufblitzendes Lächeln zu. »Ich werde doch so hervorragend bedient«, meinte sie ironisch. »In der Menge, die sich stets um mich versammelt, werde ich Euch kaum vermissen.«
Ich stand verlegen da, wußte nicht, was ich noch sagen sollte. »Ich hoffe, Eurer Majestät wieder zu dienen, wenn ich im September zum Hof zurückkehre«, bemerkte ich vorsichtig.
Sie legte die Nadel zur Seite und schaute mich an. »Natürlich werdet Ihr mir dienen. Ich werde hier sein. Daran gibt es keinen Zweifel.«
»Nein«, stimmte ich ihr zu, verlogen bis in die Fingerspitzen.
»Ihr wart immer sehr höflich und seid mir stets eine gute Dienerin gewesen«, sagte sie. »Sogar als Ihr jung und noch sehr töricht wart, seid Ihr doch immer ein braves Mädchen gewesen, Mary.«
Ich schluckte meine Schuldgefühle herunter. »Ich wünschte, ich hätte mehr tun können«, erklärte ich sehr leise. »Und es |333| hat Zeiten gegeben, in denen es mir leid tat, daß ich anderen als Eurer Majestät dienen mußte.«
»Oh, Ihr meint Felipez«, sagte sie leichthin. »Liebe Mary, ich wußte, daß Ihr Eurem Vater oder Onkel oder dem König davon berichten würdet. Ich habe sorgfältig darauf geachtet, daß Ihr den Brief sehen würdet und wußtet, wer der Bote war. Ich wollte, daß sie den falschen Hafen observierten. Ich wollte sie glauben machen, daß sie ihn erwischen würden. Er hat die Botschaft an meinen Neffen überbracht. Ich habe Euch als Judas ausgewählt. Ich wußte, daß Ihr mich verraten würdet.«
Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. »Ich kann Euch nicht bitten, mir zu vergeben«, flüsterte ich.
Die Königin zuckte die Achseln. »Die Hälfte meiner Hofdamen erstattet täglich dem Kardinal oder dem König oder Eurer Schwester Bericht«, sagte sie. »Ich habe gelernt, niemandem mehr zu vertrauen. Ich werde als eine Frau sterben, die von ihren Freunden enttäuscht wurde. Aber von meinem Ehemann bin ich nicht enttäuscht. Er ist im Augenblick schlecht beraten, verblendet. Doch er wird wieder zur Besinnung kommen. Er weiß, daß ich seine Frau bin. Er weiß, daß er keine andere Frau als mich haben kann. Er wird zu mir zurückkehren.«
Ich erhob mich. »Majestät, ich fürchte, er wird niemals zurückkehren. Er hat meiner Schwester sein Wort gegeben.«
»Es stand ihm nicht frei, das zu tun«, erwiderte sie schlicht. »Er ist ein verheirateter Mann. Er kann keiner anderen Frau
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