Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Ehemann für Euch«, erklärte sie mir. »Hat er mit Euch darüber gesprochen?«
|373| »Nein. Unser Leben ist …« Ich konnte nicht die richtigen Worte finden, um den Satz so zu vollenden, wie es sich für eine Hofdame geziemte. »Unser Leben ist sehr ungewiß.«
Königin Katherine lachte ungekünstelt auf. »Daran hatte ich nicht gedacht«, räumte sie ein. »Was für ein Risiko für einen jungen Mann! Wer weiß, wie weit er mit Euch aufsteigen könnte? Oder wie tief fallen?«
Ich lächelte traurig. »Wollt Ihr, daß ich Euch vorlese, Majestät?«
»Glaubt Ihr, daß ich in Sicherheit bin?« fragte sie unvermittelt. »Ihr würdet mich doch warnen, wenn mein Leben in Gefahr wäre, nicht wahr?«
»In Gefahr?«
»Vor Gift.«
Ich schauderte, als wäre der Frühlingsabend plötzlich feucht und kühl geworden. »Die Zeiten sind finster«, sagte ich. »Sehr finster.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Und es fing alles so gut an.«
Sie sprach zu niemandem außer mir von ihrer Furcht vor Gift, aber ihre Hofdamen beobachteten, daß sie stets ein Bröckchen ihres Frühstücks an ihr Windspiel Flo verfütterte, ehe sie selbst davon aß. Eine von ihnen, ein Seymour-Mädchen – Jane – bemerkte, der Hund würde noch fett werden, und es zeuge von schlechten Manieren, einen Hund bei Tisch zu füttern. Irgend jemand scherzte, die Liebe der kleinen Flo sei alles, was der Königin noch geblieben sei. Ich sagte nichts. Ich hätte es zu gern gesehen, wenn die Königin eine von ihren Hofdamen zur Vorkosterin bestimmt hätte. Jane Seymour hätte niemand eine Träne nachgeweint.
Als uns die Nachricht erreichte, Prinzessin Mary sei erkrankt, dachte ich sogleich, genau wie auch die Königin, daß jemand – vielleicht meine Schwester – ihre hübsche, kluge Tochter vergiftet hatte.
»Er schreibt, sie sei sehr krank«, meinte die Königin, als sie den Brief des Arztes las. »Mein Gott, hier steht, sie sei schon acht Tage krank, sie könne nichts bei sich behalten.«
|374| Ich vergaß das höfische Protokoll und ergriff ihre zitternde Hand. »Es kann kein Gift sein«, flüsterte ich erregt. »Niemand hätte einen Vorteil davon, sie zu vergiften.«
»Sie ist meine Erbin«, erwiderte die Königin, ihr Gesicht war so weiß wie das Papier. »Würde Anne sie vergiften lassen, um mich ins Kloster zu treiben?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht mehr mit Sicherheit sagen, was Anne tun würde.
»Ganz gleich, ich muß zu ihr.« Sie schritt zur Tür und riß sie auf. »Wo ist der König gerade?«
»Ich finde es heraus«, sagte ich. »Laßt mich gehen. Ihr könnt nicht im Palast herumlaufen und ihn suchen.«
»Nein«, stöhnte sie, »ich kann nicht einmal zu ihm gehen und ihn bitten, mich unsere Tochter sehen zu lassen. Was mache ich, wenn diese Frau nein sagt?«
Einen Augenblick lang fiel mir dazu nichts ein. Der Gedanke, daß die Königin von England fragte, ob meine Schwester, dieser Emporkömmling, ihr erlauben würde, ihr eigenes Kind, eine königliche Prinzessin, zu sehen, war zuviel für mich, sogar in dieser völlig auf den Kopf gestellten Welt. »Sie hat nichts zu sagen, Majestät. Der König liebt Prinzessin Mary, er würde nicht wollen, daß sie krank ist und sich ihre Mutter nicht um sie kümmern kann.«
Anne wußte bereits, daß es der Prinzessin nicht gut ging. Anne wußte heutzutage alles. Das Spionagenetz meines Onkels, das schon immer hervorragend gewesen war, hatte sich in jedem Haushalt in ganz England ausgebreitet, und seine Erkenntnisse wurden in den Dienst meiner Schwester gestellt. Anne wußte, daß Prinzessin Mary krank vor Sorgen war. Das junge Mädchen lebte allein, nur mit ihren Bediensteten und ihrem Beichtvater als Gesellschaft. Sie kniete stundenlang und betete zu Gott, er möge die Liebe ihres Vaters wieder zu ihrer Mutter, seiner Ehefrau, lenken.
An jenem Abend kam der König in die Gemächer der Königin. Er hatte seine Antwort gut gelernt. »Ihr könnt gehen und die Prinzessin besuchen, wenn Ihr es wünscht, und Ihr könnt |375| dann gleich dort bleiben«, meinte er. »Mit meinem Segen, mit meinem Dank. So lebt denn wohl.«
Der Königin wich alle Farbe aus dem Gesicht. »Niemals würde ich Euch, meinen Ehemann, verlassen«, flüsterte sie. »Ich dachte an unser Kind. Ich dachte, Ihr würdet gern wissen, daß Mary gut versorgt ist.«
»Sie ist nur ein Mädchen«, erwiderte er, und in seiner Stimme schwang unendlich viel Haß mit. »Ihr hattet es nicht so eilig, Euch um unseren Sohn zu
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