Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
strahlt wie ein Milchmädchen im Frühling. Ich würde mein Vermögen darauf verwetten, daß sie verliebt ist.«
Ich wurde puterrot.
»Hab ich’s mir doch gedacht«, meinte mein Bruder höchst zufrieden. »Wer ist es?«
»Mary hat keinen Liebhaber«, sagte Anne.
|398| »Ich nehme doch an, daß sie ihr Auge wohlgefällig auf jemandem ruhen lassen kann, ohne dich vorher um Erlaubnis zu bitten«, erwiderte George. »Und dieser Jemand darf sie sicher allen anderen vorziehen, ohne das bei Euch zu beantragen, Frau Königin.«
»Besser nicht«, erwiderte sie ohne die Spur eines Lächelns. »Ich habe für Mary meine eigenen Pläne.«
George pfiff leise. »Großer Gott, Annamaria, man könnte meinen, du seiest schon gesalbt.«
Sie fuhr zu ihm herum. »Wenn ich es bin, werde ich genau wissen, wer meine Freunde sind. Mary ist meine Hofdame, und ich möchte in meinem Haushalt geordnete Verhältnisse.«
»Aber sie kann doch jetzt sicher ihre eigene Wahl treffen.«
Anne schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn ihr etwas an meiner Gunst liegt.«
»Um Himmels willen, Anne! Wir sind eine Familie! Du bist nur da, wo du bist, weil Mary sich zurückgezogen hat, um für dich Platz zu machen. Tu jetzt nicht so, als seiest du eine Prinzessin von königlichem Geblüt.
Wir
haben dich dahin gehoben, wo du nun bist. Du kannst uns nicht wie gemeine Untertanen abtun.«
»Ihr seid Untertanen«, meinte sie schlicht. »Du, Mary, sogar Onkel Howard. Ich habe meine eigene Tante vom Hof verbannen lassen. Ich habe die Königin selbst vom Hof verbannen lassen. Zweifelt noch irgend jemand daran, daß ich ihn ins Exil schicken kann, wenn ich will? Nein. Du hast mir vielleicht bis dahin geholfen, wo ich jetzt bin …«
»Dir geholfen? Wir haben dich mit aller Kraft geschoben!«
»Aber jetzt bin ich hier, und ich werde Königin. Und ihr seid meine Untertanen und steht in meinen Diensten. Ich werde Königin und Mutter des nächsten englischen Königs. Vergiß das besser nicht, George, noch einmal werde ich es dir sicher nicht sagen.«
Anne erhob sich und rauschte zur Tür. Sie wartete darauf, daß jemand ihr die Tür öffnen würde. Als keiner von uns beiden aufsprang, riß sie sie selbst auf. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um. »Und nenne sie nicht Marianne. Sie |399| ist Mary, das andere Boleyn-Mädchen. Und ich bin Anne, die künftige Königin Anne. Zwischen uns liegen Welten. Wir haben nicht einmal einen Namen gemeinsam. Sie ist beinahe ein Niemand, und ich werde Königin.«
Sie stolzierte aus dem Raum, machte sich nicht einmal die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen. Wir hörten ihre Schritte, die sich in Richtung ihres Schlafzimmers entfernten. Wir saßen schweigend da, bis die Tür ihrer Kammer mit lautem Krachen zufiel.
»Großer Gott«, seufzte George aus tiefster Seele. »Was für eine böse Hexe.« Er stand auf und schloß die Tür. »Wie lang ist sie denn schon so?«
»Ihre Macht ist allmählich immer größer geworden. Sie hält sich für unantastbar.«
»Ist sie das?«
»Er ist sehr in sie verliebt. Ja, ich denke, sie kann sich sicher sein.«
»Und er hat sie immer noch nicht besessen?«
»Nein.«
»Großer Gott, was machen sie denn?«
»Alles außer der letzten Hingabe. Sie wagt nicht, es ihm zu erlauben.«
»Das muß ihn völlig zur Raserei treiben«, meinte George mit finsterer Genugtuung.
»Sie auch«, erwiderte ich.
»Redet sie mit allen so wie gerade eben mit mir?«
»Viel schlimmer. Sie verliert allmählich alle Freunde. Auch Charles Brandon ist jetzt gegen sie. Onkel Howard hat mehr als genug von ihr. Sie haben sich ganz offen gestritten, seit Weihnachten mindestens zweimal. Sie glaubt sich der Liebe des Königs so sicher zu sein, daß sie sonst keinen Schutz mehr braucht.«
»Ich lasse mir das nicht gefallen«, beharrte George. »Das sage ich ihr.«
Ich setzte eine schwesterlich besorgte Miene auf, aber insgeheim hüpfte mein Herz vor Freude bei dem Gedanken, daß sich zwischen Anne und George eine Kluft auftat. Wenn ich |400| George auf meine Seite ziehen könnte, würde mir das beim Kampf um meinen Sohn von Vorteil sein.
»Sei ehrlich, gibt es wirklich niemanden, auf den dein Auge gefallen ist?« fragte er nun.
»Es ist ein Niemand«, erwiderte ich. »Außer dir erzähle ich es keinem – behalte es also für dich.«
»Ich schwöre«, sagte er, packte mich bei beiden Händen und zog mich näher zu sich. »Ein Geheimnis, bei meiner Ehre. Bist du verliebt?«
»O nein«, antwortete ich.
Weitere Kostenlose Bücher