Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Weizenbrot und einem Glas Wein. Ich konnte mich sogar in einer Schüssel mit kaltem Wasser waschen, so daß wenigstens mein Gesicht sauber war. Ich schlief in den Kleidern und legte aus Angst vor Dieben meine Reitstiefel unter das Kopfkissen. Am Morgen hatte ich das Gefühl, nicht sonderlich gut zu riechen, und unter dem Mieder zeigte sich eine Reihe von juckenden Flohstichen.
Am Morgen mußte ich Jimmy ziehen lassen. Er hatte noch einen weiten Heimritt vor sich. Ich gab ihm eine Münze, ein Stück Brot und etwas Käse als Wegzehrung. Wir ritten noch ein Stück zusammen, ehe sich unsere Wege trennten. Er wies mir den Pfad, der mich nach Southend führen würde, und machte sich dann wieder in Richtung Westen auf, nach London.
Ich ritt allein durch eine menschenleere Landschaft, leer |464| und flach und verlassen. Es würde ganz anders sein, dieses Land zu bewirtschaften, als die fruchtbaren Äcker von Kent. Ich ritt zügig und schaute mich um, war stets auf der Hut vor Strauchdieben, die sich auf dieser verlassenen Straße durch das Sumpfland herumtreiben mochten. Bis Mittag sah ich jedoch nur einen kleinen Buben, der Krähen von einem frisch eingesäten Beet verscheuchte, und in der Ferne einen Pflüger, der den Schlamm am Rande des Sumpfes umbrach.
Der Pfad führte durch das Moor, stand manchmal unter Wasser oder war ungeheuer schlammig, so daß ich nur sehr langsam vorankam. Die Dämmerung war schon hereingebrochen, als ich endlich Southend erreichte und mich nach einem Quartier für die Nacht umschaute.
Der Ort bestand aus ein paar Häusern, einer kleinen Kirche und dem Pfarrhaus gleich daneben. Ich klopfte dort an, und die Haushälterin öffnete mir mit wenig ermutigendem Gesicht. Ich erklärte ihr, daß ich über Land reiste, und bat um Gastfreundschaft. Sie führte mich höchst widerwillig in ein kleines Zimmer, das an die Küche angrenzte. Ich überlegte, daß ich sie wohl für ihr unhöfliches Benehmen verflucht hätte, wenn ich noch eine Boleyn oder eine Howard gewesen wäre. Aber ich war nun eine arme Frau mit nichts auf der Welt als einer Handvoll Münzen und einem entschlossenen Willen.
»Danke«, sagte ich, als sei es ein völlig angemessenes Quartier. »Könnte ich auch ein wenig Wasser zum Waschen haben? Und etwas zu essen?«
Das Klimpern der Münzen in meiner Börse überzeugte sie. Sie ging Wasser holen und brachte eine Schüssel mit Fleischsuppe, die so aussah und auch so schmeckte, als sei sie schon einige Tage im Topf. Ich hatte großen Hunger und scherte mich nicht darum. Außerdem war ich zu müde zum Streiten. Ich aß die Suppe auf, wischte den hölzernen Teller mit einem Stück Brot sauber, fiel dann erschöpft auf meinen Strohsack und schlief bis zum Morgengrauen.
Sie rumorte schon früh in der Küche, fegte den Boden und schürte das Feuer, um für ihren Herrn das Frühstück zu bereiten. |465| Ich lieh mir von ihr ein Trockentuch und ging auf den Hof, um mir Gesicht und Hände zu waschen. Gern hätte ich auch noch meine Kleider ausgezogen und mich von Kopf bis Fuß gewaschen, um dann in saubere Gewänder zu schlüpfen, aber genausogut hätte ich mir eine Sänfte und Träger für die letzten Meilen wünschen können. Wenn William mich liebte, würde ihm ein wenig Schmutz nichts ausmachen. Und wenn er mich nicht liebte, wäre mir – verglichen mit dieser Katastrophe – der Schmutz auch gleichgültig.
Beim Frühstück erkundigte sich die Haushälterin neugierig, warum ich allein unterwegs war. Sie hatte das Pferd und mein Gewand gesehen und wußte sehr wohl, was beide wert waren. Ich sagte nichts, steckte noch eine Scheibe Brot ein und ging hinaus, um mein Pferd zu satteln. Als ich aufgestiegen war, rief ich sie noch einmal auf den Hof. »Könnt Ihr mir den Weg nach Rochford weisen?«
»Durch das Tor und dann links den Pfad hinunter«, sagte sie. »Haltet Euch immer in östlicher Richtung. Ihr solltet in etwa einer Stunde dort sein. Wen wollt Ihr denn dort besuchen? Die Familie Boleyn hält sich immer bei Hof auf.«
Ich murmelte eine Antwort. Ich wollte nicht, daß sie erfuhr, daß ich, eine Boleyn, so weit geritten war, um einen Mann zu besuchen, der mich nicht einmal eingeladen hatte. Je näher ich seinem Zuhause kam, desto ängstlicher wurde mir zumute. Ich schnalzte mit der Zunge, um mein Pferd anzutreiben, wandte mich nach links, wie sie mir gesagt hatte, und ritt dann geradewegs der aufgehenden Sonne zu.
Rochford war ein kleiner Weiler von einem halben Dutzend Häusern,
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