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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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immer die Klinge zu fürchten. Bringen wir erst einmal die heutige Nacht hinter uns. Flößen wir ihr den Trank ein, und sehen wir, was geschieht.«
     
    Anne schritt wie eine Königin zum Abendessen, bleich, ausgemergelt, aber hoch erhobenen Hauptes und mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie saß neben Henry, und ihr Thron war nur wenig kleiner als der seine. Sie redete mit ihm, schmeichelte ihm und bezauberte ihn, wie sie es immer noch konnte. Wenn ihr Strom geistreicher Bemerkungen auch nur einen Augenblick versiegte, wanderten seine Augen sofort zu den Hofdamen, manchmal zu Madge Shelton, manchmal zu Jane Seymour, einmal sogar mit einem nachdenklichen, herzlichen |562| Lächeln zu mir. Anne gab vor, das nicht wahrzunehmen, stellte ihm unzählige Fragen zur Jagd, pries seine gute Gesundheit. Sie wählte die besten Happen und häufte sie auf seinen bereits übervollen Teller. In allem, was sie tat, war sie ganz und gar Anne. Doch irgend etwas erinnerte mich auch an die Frau, die vor ihr auf diesem Thron gesessen und versucht hatte, zu übersehen, daß die Aufmerksamkeit ihres Mannes nicht mehr ihr galt.
    Nach dem Essen verkündete der König, er hätte noch Geschäfte zu erledigen. Wir wußten also alle, daß er mit seinen engsten Freunden zechen würde. »Dann begleite ich ihn besser«, meinte George. »Du achtest darauf, daß sie den Trank nimmt, und bleibst dann bei ihr?«
    »Ich schlafe heute nacht in ihrem Zimmer«, versprach ich. »Die Frau meinte, es würde ihr sterbenselend werden.«
    Er nickte mit zusammengekniffenen Lippen und folgte dem König.
    Anne erklärte, sie habe Kopfschmerzen und wolle früh zu Bett gehen. Wir ließen die Hofdamen in ihrem Audienzgemach zurück. Ich wußte, sobald wir die Tür hinter uns geschlossen hatten, würde es den üblichen endlosen Klatsch und Tratsch geben.
    Anne streifte sich das Nachthemd über und reichte mir den Läusekamm. »Du kannst dich genausogut nützlich machen, während wir warten«, sagte sie unfreundlich.
    Ich stellte das Fläschchen auf den Tisch.
    »Gieß es mir ein.«
    Irgend etwas an dem dunklen Fläschchen widerte mich an. »Nein. Du mußt es selbst machen, du allein.«
    Sie zuckte die Achseln wie eine Spielerin, die mit leeren Taschen den Einsatz erhöht, und goß den Trank in einen goldenen Becher. Dann warf sie den Kopf zurück, würgte das Zeug in drei Schlucken herunter und knallte den Becher auf den Tisch. »Fertig«, sagte sie. »Jetzt bete zu Gott, daß es gut geht.«
    Wir warteten. Ich kämmte ihr das Haar, und wenig später meinte sie: »Wir können uns ebensogut schlafen legen. Es geschieht gar nichts.« Wir schmiegten uns im Bett aneinander |563| wie in alten Zeiten. Auch als wir kurz nach Einbruch der Morgendämmerung aufwachten, verspürte Anne keinerlei Schmerzen.
    »Es hat nicht gewirkt«, stellte sie fest.
    Ich hegte die schwache, törichte Hoffnung, daß das Kind lebte, daß es sich zur Wehr gesetzt hatte, daß es vielleicht nur klein und recht zart war, aber beharrlich weiter in ihrem Schoß blieb, trotz des Giftes.
    »Ich gehe jetzt in mein Bett, wenn du mich nicht mehr brauchst«, sagte ich.
    »Ja«, antwortete sie. »Renn nur zu deinem Sir Niemand und seiner verschwitzten Rammelei, warum nicht?«
    Ich kannte den neidischen Unterton in der Stimme meiner Schwester, er war mir der lieblichste Klang der Welt. »Aber du bist Königin.«
    »Ja. Und du bist Lady Niemand.«
    Ich lächelte. »Ich wollte es so.« Ehe sie das letzte Wort haben konnte, war ich aus dem Zimmer geschlüpft.
     
    Den ganzen Tag lang geschah nichts. George und ich beobachteten Anne aufmerksam, doch obwohl sie bleich war und über die helle Junisonne klagte, geschah nichts. Der König verbrachte den Morgen mit Geschäften, empfing Bittsteller, die ihn unbedingt noch sehen wollten, ehe der Hof auf Staatsreise ging.
    »Und?« fragte ich Anne, als ich ihr zusah, wie sie sich zum Abendessen umzog.
    »Nichts«, erwiderte sie. »Du mußt morgen noch einmal zu ihr gehen.«
    Um Mitternacht brachte ich Anne zu Bett und begab mich dann in meine eigenen Gemächer. William war schon halb eingeschlafen, doch als er mich kommen hörte, stand er auf und lockerte mein Mieder so sanft und geschickt wie eine gute Zofe. Ich lachte über den konzentrierten Ausdruck auf seinem Gesicht. Dann seufzte ich vor Wonne, als er mir die Haut dort massierte, wo die Miederstangen eingeschnitten hatten.
    »Besser?« erkundigte er sich.
    |564| »Es ist immer besser, wenn ich bei dir bin«,

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