Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
prächtigen Läufer, den man aufs Eis gebreitet hatte, damit er nicht ausrutschte. Jane trippelte hinter ihnen her, mit einem jämmerlichen kleinen Lächeln, als wolle sie sich dafür entschuldigen, daß sie bevorzugt wurde.
    »Und wohin geht Ihr, Mistress Seymour?« Annes Stimme klang scharf wie ein Peitschenhieb.
    Die jüngere Frau wandte sich um und versank vor der Königin in einem Hofknicks. »Er hat mir gesagt, ich solle mitkommen |635| und ihm vorlesen«, sagte sie schlicht mit gesenktem Blick. »Latein kann ich nicht sehr gut lesen, aber Französisch ein bißchen.«
    »Französisch ein bißchen!« rief meine Schwester, die seit ihrem sechsten Lebensjahr drei Sprachen beherrschte.
    »Ja«, erwiderte Jane stolz. »Wenn ich auch nicht alles verstehe.«
    »Ich möchte wetten, Ihr versteht überhaupt nichts«, sagte Anne. »Ihr könnt gehen.«

|636| Frühling 1536
    Das Eis schmolz, aber es schien kaum wärmer zu werden. In großen Büscheln blühten die Schneeglöckchen rings um den Bowlingrasen, doch das Gras war so naß, daß wir nicht spielen konnten. Selbst die Wege im Garten waren zu feucht zum Spazierengehen. Das Bein des Königs wollte nicht heilen. Alle Breiumschläge und Kompressen, die man auflegte, schienen die Wunde nur noch mehr zu entzünden. Henry fürchtete, daß er nie mehr würde tanzen können. Die Nachricht, daß König François von Frankreich bester Dinge und kerngesund war, machte ihn noch mißmutiger.
    Die Fastenzeit begann, und es wurde nicht mehr getanzt und gefeiert. Anne hatte damit jede Möglichkeit verloren, den König in ihr Bett zu locken und wieder ein Kind zu empfangen. Niemand, nicht einmal der König und die Königin, durfte während der Fastenzeit die Freuden des Beischlafs genießen. Anne mußte also ertragen, daß Henry auf einem gepolsterten Stuhl saß, das lahme Bein auf einem Schemel ausruhte und Jane Seymour an seiner Seite hatte, die ihm aus frommen Schriften vorlas. Sie konnte nicht einmal ihre ehelichen Rechte einklagen.
    Man hatte sie ausmanövriert, und nun übersah man sie. Jeden Tag erschienen weniger Hofdamen in ihren Gemächern. Man hatte sie zwar als Hofdamen der Königin ausgewählt, und sie wurden als solche bezahlt, aber inzwischen hielten sie sich alle in Jane Seymours Räumen auf. Diejenigen, die Anne treu geblieben waren, wären ohnehin dort nicht willkommen gewesen: unsere Familie, Madge Shelton, Tante Anne, meine Tochter Catherine und ich. An manchen Tagen waren die einzigen Herren in den Gemächern der Königin George und sein Freundeskreis: Sir Francis Weston, Sir Henry Norris und Sir |637| William Brereton. Ich hatte es nun mit genau den Männern zu tun, vor denen mich mein Mann gewarnt hatte, aber Anne hatte keine anderen Freunde mehr. Wir spielten Karten oder ließen uns von den Musikanten unterhalten. Wenn Sir Thomas Wyatt zu Besuch war, wurde um die Wette gedichtet. Aber im Herzen war alles doch recht hohl, es herrschte Leere, wo Freude hätte regieren sollen. Anne glitt alles aus den Händen, und sie wußte nicht, wie sie das aufhalten sollte.
     
    Mitte März überwand sie ihren Stolz und schickte mich unseren Onkel holen.
    »Ich kann jetzt nicht kommen, ich habe noch einiges zu erledigen. Ihr könnt ihr sagen, daß ich sie heute nachmittag besuche.«
    »Ich hätte nicht gedacht, daß man eine Königin warten lassen darf«, bemerkte ich.
    Als er am Nachmittag erschien, begrüßte Anne ihn ohne das geringste Anzeichen des Mißvergnügens und zog sich mit ihm zu einem vertraulichen Gespräch in einen Erker zurück. Ich war nah genug, um mitzuhören, was sie sprachen, wenn auch keiner von ihnen die Stimme erhob.
    »Ich brauche Eure Hilfe gegen die Seymours«, sagte sie. »Wir müssen Jane loswerden.«
    Er zuckte bedauernd die Achseln. »Liebe Nichte, Ihr habt mir auch nicht immer so geholfen, wie ich es mir gewünscht hätte. Noch vor nicht allzu langer Zeit habt Ihr mich selbst beim König angeschwärzt. Wenn Ihr nicht mehr Königin wäret, glaube ich kaum, daß Ihr je wieder eine Howard werden könntet.«
    »Ich bin ein Boleyn-Mädchen, ein Howard-Mädchen«, flüsterte sie, die Hand um das goldene »B« an ihrer Halskette gelegt.
    »Es gibt viele Howard-Mädchen«, sagte er leichthin. »Meine Frau, die Herzogin, hat ein ganzes Dutzend in ihrem Haushalt in Lambeth, alle Eure Cousinen, alle genauso hübsch wie Ihr, wie Mary, wie Madge. Alle genauso lebenslustig, so heißblütig. Wenn er dieses Milchgesicht leid geworden ist, dann steht |638|

Weitere Kostenlose Bücher