Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
dachte, du hättest dein Ziel zu hoch gesteckt.«
»Das nächste Mal weißt du es besser«, ermahnte sie mich. »Wenn ich mir ein Ziel stecke, erreiche ich es auch.«
»Das nächste Mal weiß ich es besser«, stimmte ich zu.
»Aber was ist mit ihm?« warnte George sie. »Was ist, wenn sie ihn enterben? Dann bist du in einer schönen Klemme, verheiratet mit einem Jungen, der einmal der Erbe eines Herzogtums war, aber nun in Ungnade gefallen und völlig mittellos ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das tun sie nicht. Er ist ihnen zu kostbar. Aber du mußt auf meiner Seite stehen, George, und Vater und Onkel Howard auch. Sein Vater muß begreifen, daß wir gut genug für sie sind. Dann fechten sie die Verlobung nicht an.«
»Ich werde tun, was ich kann, aber die Percys sind eine stolze Familie. Sie hatten ihn für Mary Talbot bestimmt, bis Wolsey sich gegen die Verbindung aussprach. Dich werden sie kaum an ihrer Stelle haben wollen.«
»Bist du nur auf sein Vermögen aus?« fragte ich.
»Oh, auf den Titel natürlich auch«, antwortete Anne brutal.
»Ich meine, was empfindest du für ihn?«
Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde diese Frage mit einem Scherz abtun, seine jungenhafte Anbetung in den Schmutz ziehen. Aber dann warf sie den Kopf in den Nacken, und ihr Haar glitt durch Georges Hände wie ein dunkler Wasserfall.
»Oh, ich weiß, ich bin eine Närrin! Ich weiß, er ist nur ein kleiner Junge, und ein dummer kleiner Junge obendrein, aber wenn er bei mir ist, fühle ich mich selbst wie ein junges Mädchen. Ich habe das Gefühl, als wären wir zwei verliebte junge Leute und hätten nichts auf der Welt zu befürchten. Ich bin wie verzaubert! Ich spüre, ich bin verliebt!«
Es war, als wäre der eisige Zauber der Howards gebrochen, zerborsten wie ein Spiegel, und als wäre nun alles wirklich und |139| strahlend hell. Ich lachte mit ihr, packte sie bei den Händen und schaute ihr ins Gesicht. »Ist es nicht wunderbar?« fragte ich. »Wenn man sich verliebt? Ist es nicht das Schönste, das Allerschönste?«
Sie entzog mir ihre Hände. »Ach, geh doch weg, Mary. Du bist ein solcher Kindskopf. Aber ja! Wunderbar? Ja! Und jetzt hör auf mit deinem Getue, ich kann das nicht leiden.«
George drehte ihr eine Strähne ihres feuchten Haars zu einer Schnecke auf dem Kopf zusammen, bewunderte ihr Gesicht im Spiegel. »Anne Boleyn ist verliebt«, sagte er nachdenklich. »Wer hätte das gedacht?«
»Es wäre niemals geschehen, wenn er nicht nach dem König der größte Mann im Königreich wäre«, erinnerte sie ihn. »Ich vergesse nicht, was ich mir und meiner Familie schuldig bin.«
Er nickte. »Das weiß ich, Annamaria. Wir alle wußten, daß du dir sehr hohe Ziele stecken würdest. Aber ein Percy! Das ist mehr, als ich gedacht hätte.«
Sie beugte sich vor, als wolle sie ihr Ebenbild befragen. Sie umfaßte ihr Gesicht mit den Händen. »Meine erste Liebe. Meine erste und einzige Liebe.«
»Gebe Gott, daß du Glück hast und es auch deine letzte Liebe ist«, sagte George plötzlich ganz nüchtern.
Ihre dunklen Augen trafen sich im Spiegel. »Das gebe Gott«, sagte sie. »Ich wünsche mir nichts sonst im Leben, nur Henry Percy. Damit wäre ich zufrieden. Oh – George, ich kann es dir nicht sagen. Wenn ich Henry Percy bekommen und behalten kann, dann werde ich aus tiefster Seele zufrieden sein.«
Auf Annes Geheiß kam Henry Percy am Mittag des folgenden Tages in die Gemächer der Königin. Sie hatte die Zeit sorgfältig ausgewählt. Die Hofdamen waren alle zur Messe gegangen, und wir hatten die Räume für uns. Henry Percy trat ein und blickte sich um, überrascht über die Stille und Leere. Anne schritt auf ihn zu und faßte ihn bei beiden Händen. Einen Augenblick huschte mir der Gedanke durch den Kopf, daß er eher wie ein gejagtes Wild als wie ein umworbener Liebhaber wirkte.
|140| »Mein Liebster«, sagte Anne. Beim Klang ihrer Stimme erhellte sich sein Antlitz, und er gewann neuen Mut.
»Anne«, antwortete er leise.
Er nestelte in der Tasche seiner wattierten Hose und brachte einen Ring zum Vorschein. Von meinem Platz auf dem Fenstersitz konnte ich das rote Glitzern eines Rubins ausmachen – Symbol einer tugendhaften Frau.
»Für Euch«, flüsterte er beinahe unhörbar.
Anne ergriff seine Hand. »Möchtet Ihr mir jetzt gleich, hier vor Zeugen, ewige Treue schwören?« fragte sie.
Er schluckte. »Ja, das will ich.«
Sie blitzte ihn an. »Dann tut es.«
Er blickte zu George und mir
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