Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
wie eine angreifende Natter. »Was liegt schon daran? Es war doch ein richtiger Treueschwur, oder nicht?«
Das Papier in meiner Hand zitterte. »Was meint er damit, daß er dich nicht im Stich läßt?« fragte ich. »Wenn es ein unverbrüchliches Verlöbnis war, dann kann er dich gar nicht im Stich lassen.«
»Ich weiß nicht, was er damit meint«, fauchte Anne. »Der Junge ist ein Narr.«
»Du hast gesagt, daß du ihn liebst.«
»Deswegen ist er trotzdem ein Narr.« Plötzlich fuhr sie herum. »Ich muß sofort zu ihm. Er braucht mich jetzt. Sonst gibt er unter ihrem Druck noch nach.«
|146| »Das geht nicht. Du mußt warten.«
Sie riß die Kleidertruhe auf und zerrte ihren Umhang heraus.
Es klopfte donnernd an der Tür. Wir erstarrten beide. Blitzschnell hatte sie den Umhang von der Schulter gezogen und in die Truhe zurückgestopft. Auf der saß sie nun heiter und ungerührt, als hätte sie schon den ganzen Morgen dort verbracht. Ich öffnete die Tür. Ein Bediensteter in der Livree des Kardinals Wolsey stand draußen.
»Ist Mistress Anne hier?«
Ich öffnete die Tür ein wenig weiter, so daß er sie sehen konnte. Ihr Blick schweifte gedankenverloren über den Garten. Die Barke des Kardinals mit den unverkennbaren roten Fahnen hatte am unteren Ende des Gartens festgemacht.
»Würdet Ihr bitte zum Kardinal kommen, ins Audienzzimmer des Königs?« sagte er.
Anne wandte den Kopf zu ihm und schaute ihn wortlos an.
»Sofort«, fügte er hinzu. »Mein Herr, der Kardinal, sagte, Ihr solltet unverzüglich kommen.«
Sie begehrte über die Arroganz dieses Befehls nicht auf. Sie wußte so gut wie ich, daß der Kardinal der heimliche Herrscher des Königreichs war und daher sein Wort soviel Gewicht hatte wie das des Königs. Sie ging zum Spiegel hinüber, warf einen Blick auf ihr Ebenbild. Sie zwickte sich in die Wangen, um ein wenig Farbe zurückzubringen.
»Soll ich dich begleiten?« fragte ich.
»Ja, geh mit«, murmelte sie. »Das erinnert ihn daran, daß dir das Ohr des Königs geneigt ist. Und wenn der König dabei ist – dann stimme ihn milde, wenn du kannst.«
»Ich kann nichts von ihm verlangen«, flüsterte ich.
Sogar in diesem Augenblick warf sie mir noch ein herablassendes Lächeln zu. »Als ob ich
das
nicht wüßte!«
Wir folgten dem Diener in Henrys Audienzzimmer. Es lag verlassen und leer. Henry war auf die Jagd geritten und der Hofstaat mit ihm. Die Männer des Kardinals standen an der Tür. Sie traten einen Schritt zurück, um uns durchzulassen, versperrten dann wieder den Weg. Seine Lordschaft trug also Sorge, daß niemand uns stören würde.
|147| »Mistress Anne«, sagte der Kardinal, als wir den Raum betraten. »Mir ist heute eine außerordentlich beunruhigende Nachricht zu Ohren gekommen.«
Anne stand mit gefalteten Händen heiter und gelassen da. »Das tut mir leid, Euer Gnaden«, erwiderte sie aalglatt.
»Es scheint, daß mein Page, der junge Henry von Northumberland, die Freiheit, die ich ihm gewähre, und seine Freundschaft mit Euch dazu mißbraucht, sich in den Gemächern der Königin herumzutreiben und von Liebe zu schwatzen.«
Anne schüttelte den Kopf, doch der Kardinal ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
»Ich habe ihm heute mitgeteilt, derlei Unfug zieme sich nicht für jemanden, der einmal alle Grafschaften im Norden erbt und dessen Heirat eine Angelegenheit ist, die seinen Vater, den König und mich angeht. Er ist schließlich kein Bauernlümmel, der sich nach Belieben mit Milchmädchen im Heu vergnügen kann. Die Heirat eines so großen Herrn ist eine Sache der Politik.« Er hielt inne. »Und die Politik in diesem Lande bestimmen der König und ich.«
»Er hat mich gebeten, ihn zu heiraten, und ich habe ihm gern meine Hand gereicht«, antwortete Anne mit ruhiger Stimme. Doch das goldene »B«, das sie an ihrer Perlenkette um den Hals trug, hüpfte im raschen Rhythmus ihres Herzschlags. »Wir haben einander Treue geschworen, mein Lord und Kardinal. Wenn diese Ehe nicht Eure Zustimmung findet, so tut es mir sehr leid. Aber sie ist geschlossen und läßt sich nicht mehr auflösen.«
Er warf ihr unter seinem Kardinalshut hervor einen finsteren Blick zu.
»Lord Henry hat mir erklärt, er werde sich der Autorität seines Vaters und des Königs unterwerfen«, erwiderte er. »Ich teile Euch dies aus reiner Freundlichkeit mit, Miss Boleyn, damit ihr nicht unversehens diejenigen beleidigt, die Gott über Euch gestellt hat.«
Anne wurde kreidebleich. »Niemals! Henry Percy hat
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