Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
an, als ich aus den Gemächern des Königs trat.
»Ärger?« fragte er.
»Nicht für uns.«
»Das ist gut. Für wen denn dann?« erkundigte er sich fröhlich, hängte sich bei mir ein und schlenderte an meiner Seite die Treppe hinunter in den großen Saal.
»Wirst du es für dich behalten?«
Er schaute mich unsicher an. »Erzähl es mir einfach, und laß mich dann entscheiden.«
»Hältst du mich für so töricht?« fragte ich verärgert.
Er schenkte mir sein schönstes Lächeln. »Manchmal schon«, meinte er. »Und jetzt sag endlich, was ist das Geheimnis?«
»Henry hat letzte Nacht bittere Tränen vergossen, weil er meint, ein Fluch Gottes laste auf ihm, so daß er keine Söhne hat.«
George blieb abrupt stehen. »Fluch? Hat er wirklich Fluch gesagt?«
Ich nickte. »Er glaubt, daß Gott ihm keine Söhne schenkt, weil er die Frau seines Bruders geheiratet hat.«
Helle Freude leuchtete auf dem Gesicht meines Bruders. »Komm«, befahl er. »Komm sofort.«
Er zerrte mich die Treppe hinunter in den alten Teil des Schlosses.
»Ich bin noch nicht angezogen.«
»Das ist gleichgültig. Wir gehen zu Onkel Howard.«
»Warum?«
»Weil der König endlich da ist, wo wir ihn haben wollen. Endlich. Endlich.«
»Wir wollen, daß er sich für verflucht hält?«
»Großer Gott, ja.«
|229| Ich blieb stehen und hätte ihm gern meine Hand entzogen, aber er hielt mich fest und zerrte mich weiter. »Warum?«
»Du bist wirklich so dumm, wie ich immer vermutet hatte«, meinte er schlicht und hämmerte an die Tür zum Gemach meines Onkels.
»Ich hoffe doch sehr, daß es um eine wichtige Angelegenheit geht«, erklärte mein Onkel, als er uns draußen stehen sah. »Kommt herein.«
Mein Onkel saß in seinem pelzgefütterten Umhang vor einem kleinen Kaminfeuer, einen Krug Ale neben sich, einen Stapel Papiere vor sich. Niemand sonst war in seinem Haushalt schon wach. George schaute sich rasch in seinem Privatgemach um. »Kann ich offen reden?«
Onkel nickte und wartete.
»Ich habe sie geradewegs aus dem Bett des Königs hierhergebracht«, berichtete er. »Der König hat ihr gesagt, er sei kinderlos, weil es Gottes Wille sei. Er hält sich für verflucht.«
Der scharfe Blick meines Onkels schwenkte zu mir. »Das hat er gesagt? Er hat ›verflucht‹ gesagt?«
Ich zögerte. Henry hatte in meinen Armen geweint, hatte sich an mich geklammert, als sei ich die einzige Frau auf der Welt, die ihn in seinem Schmerz trösten konnte. Das Gefühl des Verrates muß sich in meinem Gesicht gespiegelt haben, denn Onkel lachte kurz auf, versetzte einem Holzklotz im Kamin einen Tritt, daß die Funken stoben, und bedeutete George mit einer Geste, mich zu einem Schemel beim Kamin zu führen. »Sag es mir«, forderte er mich leise drohend auf, »wenn du deine Kinder diesen Sommer in Hever sehen willst. Sag es mir, wenn du deinen Sohn sehen willst, ehe man ihn in Hosen steckt.«
Ich nickte, holte tief Luft und berichtete meinem Onkel Wort für Wort, was der König mir in der Stille und Abgeschiedenheit seines Bettes erzählt hatte. Das Gesicht meines Onkels wirkte wie eine Totenmaske aus Marmor. Ich konnte nichts daraus ablesen. Dann lächelte er.
»Du kannst der Amme schreiben, sie soll das Kind nach Hever bringen. Du fährst noch diesen Monat hin«, ordnete er an. »Das hast du sehr gut gemacht, Mary.«
|230| Ich zögerte, aber er winkte ab. »Du kannst gehen. Oh, und noch eines. Gehst du heute mit Seiner Majestät auf die Jagd?«
»Ja«, antwortete ich.
»Wenn er heute oder zu einem anderen Zeitpunkt wieder darüber redet, dann mache so weiter. Spiele das gleiche Spiel.«
Ich begriff nicht: »Wie?«
»Köstlich dumm«, meinte er. »Sprich ihn nicht darauf an. Wir haben genug Gelehrte, die ihm theologische Ratschläge geben können, und Rechtsanwälte, die ihm die Scheidung erläutern können. Sei einfach weiter süß und dumm, Mary. Das machst du hervorragend.«
Er merkte, daß ich beleidigt war, und lächelte an mir vorbei zu George hin. »Sie ist bei weitem die Süßere von den beiden«, meinte er. »Du hattest recht, George. Sie dient uns als die nächste Stufe auf unserem Weg nach oben.«
George nickte und zog mich rasch aus dem Zimmer.
Ich zitterte heftig, teils aus Erregung über meinen Verrat, teils aus Wut über meinen Onkel. »Eine Stufe?« zischte ich.
George bot mir seinen Arm, und ich hängte mich bei ihm ein. Er drückte mir fest die Hand auf die bebenden Finger. »Natürlich«, antwortete er sanft. »Es ist die
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