Die Schwester der Nonne
spielte auf den vorangegangenen Abend an, den sie wie üblich mit einer Zechtour durch die Schänken der Stadt verbracht hatten. Melchior hatte wieder einmal über die Stränge geschlagen, denn er vertrug weitaus weniger Bier und Wein als die beiden anderen. Er war der Jüngste der Studiosi, gerade mal fünfzehn Jahre alt, und trotzdem schon drei Jahre an der Universität eingeschrieben.
Sein Vater war ein begüterter Feinmechaniker aus Wurzen, der am Meißner Hof für den Landesherrn arbeitete. So konnte er seinem Sohn auch das Studium finanzieren. Immerhin kostete so ein Privatquartier nicht wenig Geld, dazu Pergament und Feder, Tinte und Griffel für das Mitschreiben der Lektionen, Kleidung und natürlich das Salär für den Magister.
Doch Melchior war auch derjenige, der sie immer wieder zu nächtlichen Saufgelagen anstiftete und den Rest seines Geldes, das ihm der Vater schickte, in Freudenhäusern und Schänken verjubelte. Klaus und Johann schlossen sich ihm gern an, fiel doch dank Melchiors Freigiebigkeit auch für sie noch genügend ab.
Sie beide waren nicht so vermögend wie Melchior, dafür aber trinkfester.
»Hier, wascht Euer Hemd im Schweinetrog aus«, krähte der Alte mit seiner Fistelstimme. »Ihr verstänkert mir ja das ganze Haus.«
»Als wenn es bei dir nicht schon genug stinken würde«, gab Melchior aufgebracht zurück und warf dem Alten sein Hemd über den Kopf. Der zuckte zurück und kippte von seinem Holzklotz direkt in den Schlamm und das Rinnsal, das vom Misthaufen in der Mitte des Hofes bis zum Zaun sickerte. Die Ziege sprang beiseite und stieß die Milchschüssel um.
»Da habt Ihr es«, tobte der Alte. »Nun ist die schöne Milch futsch, und ich habe kein Frühstück.«
Klaus steckte den Kopf zur Tür heraus. Melchior wusch sich am Brunnen, während sich der Alte schimpfend aufrappelte.
»Und wir auch nicht«, beschwerte er sich.
»Pfui, wer trinkt schon am Morgen warme Ziegenmilch«, blaffte Melchior und schüttelte sich wie ein Hund.
Der Spitz rannte zu der Milchpfütze, die langsam im Boden versickerte, um noch etwas aufzuschlecken.
»Gib das Hemd den Wäscherinnen mit«, rief Melchior. »Und deine Sachen auch gleich mit dazu.«
Mit seinem Gestank machte der Alte jetzt Melchior Konkurrenz.
»Ihr habt die letzte Rechnung der Wäscherinnen noch nicht bezahlt«, beschwerte sich der Alte und wischte die Flecken auf seinem Kittel breit.
»Aber sicher habe ich das«, erwiderte Melchior grinsend. »Direkt bei der Wäscherin unten am Fluss.«
Klaus wusste, dass Melchior bei jeder Gelegenheit die Wäscherinnen besuchte, die am Fluss die Wäsche wuschen, die sie bei den Städtern gegen Bezahlung eingesammelt hatten. Die gewaschenen Teile wurden dann zum Trockenen auf den Wiesen vor der Stadt ausgelegt und am Abend wieder zu ihren Besitzern zurückgebracht. Wenn die Wäscherinnen im Wasser standen, dann wickelten sie ihre Röcke so hoch wie möglich um die Beine. Diese Frauen waren auch nicht prüde und einem Scherz oder einer kleinen Gefälligkeit gegen eine Münze nicht abgeneigt.
Magister Siebenpfeiffer steckte den Kopf aus dem winzigen Fenster im Obergeschoss.
»Was ist denn das für ein Radau? Meine Herren Studiosi, benehmen Sie sich!«
Klaus brachte die Teekanne hinauf und stellte vier Becher auf den wackeligen Tisch im Zimmer des Magisters. Melchior und Johann kamen ebenfalls herauf, und während Melchior aus seiner kleinen Truhe neben dem Lager ein frisches Hemd suchte, gruppierten sich die anderen bereits zum Gebet um den Tisch. Auch wenn sie sich nicht im Kloster befanden, so hielten sie doch halbwegs die Gebetszeiten ein. Matutin um drei Uhr wurde auf fünf Uhr verschoben. Der Magister bestand darauf, und so knieten sie um den Tisch herum, die Hände gefaltet und die Köpfe gesenkt, um das erste Gebet des Tages abzuhalten. Danach tranken sie den heißen Tee, der ihre Mägen bis zum Mittag beruhigen sollte. Melchior fühlte sich ohnehin schlecht, und der Tee war eine Wohltat.
Der Magister schlug seine wertvollen Bücher für die Vorlesung in ein Nesseltuch ein und band sorgfältig einen Lederriemen darum. Johann bot sich an, ihm die Bücher zu tragen. Jeder der Studenten trug außerdem eine kleine Ledertasche für die Mitschriften bei sich. Pergament war eine Kostbarkeit, und das hütete jeder wie seinen Augapfel.
Auf der Straße kamen ihnen schon die ersten verschlafenen Menschen entgegen: Händler, die ihre Waren feilboten, Gesellen, die Handwerkerarbeiten
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