Die Schwester der Nonne
Beichte. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen und fürchtete keinen Zorn Gottes. Gott war kein böser alter Mann mit Rachegelüsten. Warum sonst hatte er denn die Menschen so gemacht, wie sie sind?
So gewissenhaft, wie sie die Sonntagsmesse besuchte, würde sie auch beichten. Anfangs nahm sie es noch nicht weiter tragisch, schwebte sie doch im Rausch des Neuen, Erregenden, Überwältigenden. Dass die körperliche Liebe so schmerzhaft schön war, hatte sie niemals erwartet. Ja, sie hatte gar nichts erwartet, weil sie gar nicht wusste, was auf dem Speicherboden passieren würde. Sie wollte doch nur von Klaus die Bilder erklärt haben.
»Bist du denn wahnsinnig?«, hatte Maria entsetzt gerufen, der sie als Erstes gebeichtet hatte. »Wie konntest du nur! Ich habe dir das Buch gezeigt, weil du mich so bedrängt hast. Aber es ist sündig, was darin abgebildet ist, und ich hätte es einfach ins Feuer werfen sollen.«
»Es ist überhaupt keine Sünde, was darin abgebildet ist, sondern es ist alles so, wie es in der Natur ist. Die Tiere, die Pflanzen und die Menschen sehen genauso aus wie auf den Bildern. Ich habe es doch gesehen: Die Frau sieht aus wie ich, und der Mann sieht aus wie Klaus.«
»Aber deswegen musst du doch nicht gleich mit ihm Unzucht treiben. So eine Schande! Vater wird ihn hinauswerfen, wenn er es erfährt, und dann darf er uns nicht mehr unterrichten. Und Magister Siebenpfeiffer bekommt ebenfalls Ärger und Hausverbot. Vielleicht muss er sogar die Universität verlassen. Und du bist keine Jungfrau mehr. Du wirst niemals heiraten können, weil du deine Unschuld so einfach weggeworfen hast. Dann kannst du nur noch ins Kloster gehen und dein Leben lang Buße tun. Wenn du nun ein Kind bekommst? Du stürzt die ganze Familie in Schande.«
Katharina starrte ihre Schwester an. So weit hatte sie nicht gedacht. Angst stieg in ihr auf.
»Das mit der Jungfräulichkeit ist kein Problem«, versuchte sie eine schwache Gegenwehr. »Klaus wird mich heiraten.«
»Pah, du glaubst wohl, dass Vater damit einverstanden ist? Wer ist er denn schon? Was hat er zu bieten? Ein armer Student ohne Geld, ohne Haus, ohne Beruf. Studenten haben nicht gerade den besten Leumund, und er hat kein Einkommen, sondern muss für seine Ausbildung zahlen. Wovon willst du leben? Wovon willst du deine Kinder ernähren? Glaubst du, Vater hat uns so behütet aufgezogen, um uns dem Erstbesten an den Hals zu werfen? Er wird genau aussuchen, wer uns eine entsprechende Ehe bieten kann.«
»Wir … wir müssen es ihm ja nicht unbedingt sagen«, murmelte Katharina kleinlaut.
»Du willst es ihm verschweigen?«, fragte Maria entsetzt.
Katharina nickte fest entschlossen.
»Vielleicht bekomme ich ja kein Kind. Klaus hat gesagt, das muss nicht immer passieren.«
Maria schlug sich die Hände an die Stirn und lief in der Kammer auf und ab.
»Hätte ich dir nur das Buch nicht gezeigt. Du hast mich gemein ausgenutzt und hintergangen. Ich trage eine Mitschuld.«
»Hör auf! Es war allein meine Entscheidung. Außerdem wollte er es mir ganz wissenschaftlich erklären. Wir wollten nur unsere Körper anschauen und vergleichen.«
»Wissenschaftlich! Dass ich nicht lache! Verführt hat er dich, und du dumme Gans hast es nicht einmal bemerkt.«
»Ich bin keine dumme Gans. Du bist eine alte Eule!«
»Eulen sind die Tiere der Weisheit«, gab Maria zurück.
»Aber nur in Griechenland. Du hast deine lectio nicht gelernt. Dann bist du eben eine alte fette Unke. Du gönnst mir nicht, dass Klaus mich liebt und nicht dich. Du bist neidisch, weil es schön war, und du weißt gar nichts davon. Ich will keine alte vertrocknete Jungfer werden wie Tante Brigitte. Wozu gibt es denn die Beichte und den Ablass? Ich kann meine Sünden büßen und komme trotzdem in den Himmel.«
»Erst einmal kommst du ins Fegefeuer, und die Hölle auf Erden hast du, wenn Vater es erfährt.«
»Du wirst es ihm nicht sagen! Du nicht!« Katharina stürzte sich auf ihre Schwester und zerrte ihr wütend am Hemd. Mit einem lauten Ratsch zerriss es.
»Mein Hemd, mein Hemd! Das war aus ägyptischer Baumwolle«, schrie Maria außer sich.
»Lauf doch nackt herum, oder zieh dir gleich eine Nonnenkutte an, wenn du so prüde bist.«
Maria fuhr herum und krallte sich in Katharinas Haar fest. Katharina schrie gepeinigt auf.
»Was ist denn hier los?«, rief die Amme, die durch den Lärm aufgeschreckt, in die Kammer der Mädchen gerannt kam. Mit ihren kleinen stämmigen Armen versuchte sie die beiden
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