Die Schwester der Nonne
genug bestraft. Und nun stand ihr auch noch der Eintritt ins Kloster bevor.
»Warum sitzt du eingesperrt im Zimmer herum?«, wollte Katharina wissen. »Im Kloster bist du dein ganzes Leben eingesperrt. Geh doch hinaus und schau dir den blauen Himmel an, die Blumen, das Wasser. Du musst mir nicht Gesellschaft leisten. Ich habe gesündigt, deshalb sitze ich hier. Nicht du.«
Maria blickte von ihrer Bibel auf. In ihrem Blick lag so viel Weichheit und Güte, dass Katharina sofort ein schlechtes Gewissen bekam.
»Im Kloster werde ich Gott nahe sein«, sagte sie. »Das ist das Schönste, was es gibt. Dagegen kommen der Sonnenschein, die Blumen und das Wasser nicht an. Und solange ich noch hier bin, werde ich meine Zeit mit dir verbringen, Schwester. Denn im Kloster werde ich auch Sonne, Blumen und Wasser sehen, aber nicht dich.«
Einen Moment verschlug es Katharina die Sprache, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Maria«, schluchzte sie, »bitte verzeih mir. Ich dachte nur an mich. Du bist so großherzig, du beschämst mich mit deiner Güte.«
Sanft drückte Maria ihre Schwester zurück.
»Ich weiß, dass dein Herz schwer ist. Machen wir es uns nicht noch schwerer. Unser Schicksal liegt in Gottes Hand.«
»Ob Gott auch Klaus beschützen wird?«
»Sicher. Gottes Güte ist grenzenlos, und er schließt niemanden aus, auch keinen Sünder.«
Katharina sank auf die Knie.
»Wenn ich nur deinen unerschütterlichen Glauben besitzen würde. Immer regen sich in mir Zweifel und Ängste. Ich möchte wissen, ob Klaus freigelassen wurde. Ich möchte wissen, wie es ihm geht. Ich möchte ihm helfen. Er hat Schmerzen, und es geht ihm schlecht. Walburga hat mir keine Nachricht gegeben.«
»Walburga? Was hat Walburga damit zu tun?«
»Ich habe sie gebeten, Klaus’ Freunde unten bei den Wäscherinnen zu suchen und ihnen Medizin für Klaus mitzugeben. Doch sie hat nicht gesagt, ob sie die Herren Studiosi getroffen hat.«
Maria erschrak.
»Katharina, Vater hat dir befohlen, nie wieder mit diesem Mann zusammenzutreffen. Er hat dich ins Unglück gestürzt. Dein Ungehorsam wird dich eines Tages teuer zu stehen kommen.«
»Hast du noch nie dieses Gefühl verspürt, dass du am liebsten sterben würdest, wenn du nicht mit einem bestimmten Menschen zusammen sein kannst? Hast du noch nie dieses Ziehen im Herzen gehabt, diesen köstlichen Schmerz, der dich mit aller Macht zu dem geliebten Menschen zieht? Hast du noch nie den heftigen Wunsch verspürt, in einem anderen Menschen aufzugehen, mit ihm eins zu sein, deinen Körper mit seinem verschmelzen zu lassen, deinen Geist mit seinem, deine Seele mit seiner?«
Maria schüttelte stumm den Kopf.
»Dann hast du noch keine Liebe erfahren.«
»Natürlich habe ich Liebe erfahren«, widersprach Maria. »Gott liebt mich. Das ist die reinste und wunderbarste Liebe. Vater liebt mich. Das ist die innigste Liebe. Und du, du liebst mich doch auch. Das ist eine vertraute Liebe. Die Amme liebt mich. Das ist eine behütende Liebe.«
»Das ist alles nichts gegen die Liebe zu einem Mann. Sie ist so schön, dass sie wehtut. Sie ist so groß, dass man sie gar nicht erfassen kann. Man weiß es erst, wenn man sie verloren hat. Das ist so, als ob man stürbe.«
Etwas befremdet blickte Maria auf Katharina herab. Dann beugte sie sich zu ihr.
»Bitte steh auf«, bat sie. »Auch wenn ich deine Gefühle leider nicht teilen kann, so ahne ich doch deinen Schmerz.«
Katharina erhob sich und umarmte ihre Schwester.
»Leider wirst du dieses Gefühl nun nie erfahren. Aber vielleicht ist es auch gut so, dass du diesen Schmerz nicht zu spüren brauchst. Es gibt schon genug Qual auf der Welt.«
Maria zündete eine der kostbaren Wachskerzen an, und sie knieten davor nieder. Lange blieben sie so in tiefem Gebet versunken. Später verließ Maria leise die Kammer und ließ Katharina in ihrem Kummer allein.
Zu später Stunde brachte Maria das Tablett mit dem Abendmahl. »Wo ist Walburga? Warum bringt sie nicht das Essen?«, wunderte sich Katharina.
»Sie hat in der Küche zu tun«, wich Maria aus. Sie deutete auf das frische Krebsfleisch. »Koste davon, es schmeckt köstlich.«
Katharina schob das Holzbrett beiseite, das Maria ihr hinstellte.
»Ich habe keinen Appetit«, murmelte sie und wandte den Kopf ab.
»Du solltest essen. Ich habe die Krebse selbst ausgesucht. Es hat mich einige Überwindung gekostet. Wie du weißt, mag ich diese Tiere nicht mit ihren garstigen Beinen und Fühlern.«
»Wieso hast du
Weitere Kostenlose Bücher