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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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teilweise den Dienst versagte.
Schwester Dolorissa fütterte mich in aller Ruhe, und diese eigenartige
Zweisamkeit, dieses Mittagessen in Gesellschaft einer Frau, die mir das
geschmacklose Essen durch ein Gummirohr in die Speiseröhre drückte, wäre wenige
Wochen zuvor vermutlich unvorstellbar für mich gewesen. Hätte mir jemand
prophezeit, dass es so weit mit mir käme, hätte ich wahrscheinlich mit
hochmütigen Worten auf diese Prophezeiung reagiert und mir und der Welt etwas
versprochen, was stolze und gesunde Menschen üblicherweise erwidern, wenn sie
eine solche Drohung hören: Diesen Augenblick werde ich nicht abwarten, lieber
setze ich meinem Leben ein Ende. Diese Vermutung kam mir im
peinlich-bemitleidenswerten Augenblick der Fütterung in den Sinn, und ich
musste lachen. Die Schwester, geduldig und ohne besonderes Interesse, fragte,
weshalb ich lachte. Ihr Blick war kalt und überlegen. Diese dicke, toskanische
Bäuerin, die ihre Nonnentracht so stolz trug wie ein Soldat die ranghohe
Uniform der Begünstigung, stand mit einem hämischen und kaum verhüllt
spöttischen Blick an den Krankenbetten, als wollte sie sagen: »Jetzt drückst du
dich in die Ecke. Aber gestern warst du noch ein großer Kerl in der Welt. Bist
den Frauen hinterhergestiegen, im Automobil über den Corso gefahren,
hast dem Geld nachgejagt. Jetzt verkriechst du dich hier, wie? Das geschieht dir
ganz recht.« Dies lag in ihrem Blick. Wie ein Schutzgeist, der nicht willens
ist, über das menschliche Schicksal zu lamentieren, sondern stumm seine
barmherzige Pflicht erfüllt – Dolorissa war eine hervorragende Pflegerin, zu
den Schwerkranken riefen die Ärzte am liebsten sie; sie sah die Kranken ohne
Mitleid und falsches Lispeln an. Jetzt, da sie mich künstlich ernährte, sah sie
auch mich so an. »Natürlich, du warst Musiker«, sagte ihr Blick. »Du brauchtest
den Erfolg, die Welt.« Diese wortlose, kalte Verachtung tat mir beinahe gut.
Ich antwortete nicht, und sie wischte mir die herunterlaufende Brühe aus dem
Mundwinkel. Dann ging sie, wortlos und streng, mit dem Tablett in der Hand aus
dem Zimmer.
    Ich spürte, dass das Lachen noch irgendwo in meinem gelähmten
Gesicht saß, im Mundwinkel. So sah ich der sich entfernenden Dolorissa nach.
Noch elender kann man kaum leben, dachte ich. Hilflos, unfähig zu schlucken, zu
sprechen, mich zu regen und zu bewegen, wie ein Tier, das gestopft wird, damit
es am Leben bleibt, gelähmt, zu monatelangem Stalldasein verurteilt … und bei
all diesem Schrecken doch nicht so unglücklich, wie es sich gehört hätte.
Deshalb hatte ich zuvor gelacht, aber das konnte ich Schwester Dolorissa nicht
erklären. Dieses Geheimnis beschäftigte mich, immer intensiver und erregter, am
Morgen beim Aufwachen und gegen Mitternacht, wenn ich mit dem Schmerzmittel im
Leib einschlief, inmitten der kneifenden, brennenden, beißenden, heimtückischen
Angriffe des Schmerzes. Als verstünde ich plötzlich etwas und begänne inmitten
des größten Elends, mit glänzenden Augen hinzusehen. So beobachtete ich. Denn
die Krankheit breitete sich aus und wurde mächtiger, sie warf sich immer wieder
auf neue Körpergebiete, wanderte jede Faserleitung des organischen Nervensystems
entlang; beinahe neugierig, mit der entschlossenen Vorsicht eines Entdeckers
drang sie auf die noch unberührten Gebiete des Körpers vor. Hätte mir einen
Monat zuvor jemand prophezeit, dass ich eines Tages stammeln würde und nur
durch Glas- oder Gummirohre Nahrung zu mir nehmen könnte, hätte ich mich
vielleicht umgebracht. Vielleicht. Aber jetzt war das Elend da, die Schande,
die Qual und Erniedrigung, denn die Krankheit – und das hatte ich nicht nur
durch Dolorissas höhnisch-überheblichen Blick begriffen – war tatsächlich eine
Strafe und Erniedrigung, und ich hatte keine Lust, mich umzubringen. Ich hätte
freilich auch nicht die Möglichkeit gehabt. Vielleicht hatte mich niemals etwas
so leidenschaftlich interessiert – auch nicht Musik, Reise, Bücher, nicht
einmal E.s Liebe! – wie diese Scheußlichkeit und dieses Elend. Hiob hatte so
auf dem Misthaufen gelegen – und ich verstand, dass es tatsächlich keine Grenze
gab, dass der österreichische Arzt recht gehabt hatte, der Mensch ist
unendlicher als sein Schicksal. Unendlicher, entschlossener, anpackender. Aber
wer konnte das

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