Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Irgendetwas stimmte da nicht, natürlich, das war das Gewöhnliche bei einem neuen Fall. Aber hier? Er hatte den Ehemann bei aller Sorge und Verwirrung, die er durchaus ehrlich gezeigt hatte, als arrogant empfunden. Umso leichter fiel es, ihn als Hauptverdächtigen zu sehen. Trotz seiner angstvollen Unruhe. Oder gerade deswegen.
Aber warum? Wagner hatte noch ein bisschen in der Nachbarschaft herumgefragt, zuerst bei dem Sattler im Nebenhaus, dann bei den Paulis. Als er wegen Wanda Bernau dort gewesen war, hatte Monsieur Pauli bedauernd von der Krankheit der Nachbarin gesprochen, man kannte einander also. Madam und Monsieur Pauli waren nicht im Hause, aber das Dienstmädchen an der Tür war dasselbe, das ihn vor einer Woche zum Eimbeck’schen Haus begleitet hatte, um Wanda Bernau zu identifizieren. Sie war gerne bereit, ihm zu erzählen, was sie von den Nachbarn wusste. Es war wenig und nur Gutes.
Der Sattler blies in das gleiche Horn. Zudem behauptete er aber, er sei in der Nacht erwacht, weil ihn wieder die Galle so gedrückt habe, er brauche dringend einen Aderlass, ja, die üble Galle. Wie? Ach ja, er sei dann ans Fenster getreten, weil er das Rollen und Quietschen von Rädern gehört habe. Sehr leise, ja, gut geschmiertes Räderwerk, das müsse man sagen, er kenne sich aus, als Sattler müsse man auch immer … Ja, natürlich, zur Sache. Also: Da draußen habe tatsächlich eine Mietkutsche gehalten. Nein, leider, so ganz genau habe er nicht hingesehen, aber dass es eine Mietkutsche war, habe er erkannt, und er glaube doch, dass sie vor dem Portal der Hegolts gehalten habe. Es heiße ja, die Madam sei verschwunden – nette Dame, wer hätte das gedacht? Haut einfach ab, dabei gab’s keinen Grund, gar keinen. Vielleicht habe die Droschke auch ein Haus weiter gehalten? Klar, war möglich. Es war längst nach Mitternacht gewesen und er sehr schläfrig, trotz der drückenden Galle, da zähle er die Glockenschläge nicht so pingelig. Ob jemand eingestiegen oder ausgestiegen sei, wusste er nicht, er hatte nur die Kutsche halten sehen. Ein eher armseliges Gefährt im Übrigen, selbst für eine Droschke.
Nach allem, was Wagner auch sonst hörte, gab es weder für Madam Hegolt einen Grund, ihrem Ehemann davonzulaufen, noch Anlass für ihn, seine Gattin verschwinden zu lassen – auch daran musste man unbedingt denken. Sie wurde stets als sehr zurückhaltend, aber immer freundlich beschrieben, als hübsch, gut zu den Kindern, sittsam. Wahrhaftig ein seltenes Exemplar von Mustergattin.
Auch über ihn wurde nichts Nachteiliges gesagt, außer dass er sich gern ein wenig herablassend gebärde, was Wagner völlig normal fand. So waren die Leute aus diesen Häusern eben. Einer wie Hegolt, der noch dabei war, die Leiter zu Wohlstand und Reputation, überhaupt zu den «besseren Kreisen» hinaufzuklettern, ganz besonders.
Irgendetwas musste geschehen sein, Wagner gestand sich ein, dass er ziemlich ratlos war. Er würde es trotzdem herausfinden. Und vielleicht hörte der kleine Infanterist etwas, dachte er, sehr zufrieden über diesen geschickten Schachzug. Er musste sich unbedingt den Namen des Jungen merken, das heißt, ihn neu erfragen. Der war trotz seiner Uniform und des rosig-bäuerlichen Kindergesichts gar nicht dumm. Natürlich war es eigentlich seine, Wagners Idee gewesen, aber so oder so ging der Junge nun vom Souterrain bis zur letzten Ecke unter dem Dachfirst durch das Hegolt’sche Haus, einen richtigen Keller gab es dort so nah am Wasser nicht.
Monsieur Hegolt hatte nicht widersprochen oder auch nur Einwände gehabt. Diese junge Person, hatte Wagner streng erklärt und auf Mareike gezeigt, werde ihn begleiten und alle Türen für ihn öffnen. Worauf die errötend kicherte, was als freudige Zustimmung gewertet werden konnte. Sie würde schon etwas ausplappern, das junge Ding, kaum dass ihr Herr und die wachsame Köchin außer Hörweite waren. Irgendetwas kam dabei immer heraus. Irgendetwas.
Er bezweifelte immer noch, dass niemand im ganzen Haus etwas gehört oder bemerkt hatte. Zwar war der Herr aus dem Haus gewesen, wie es hieß, tanzten dann die Mäuse auf dem Tisch. Aber diese Dienstboten sahen nicht nach einer eingeschworenen Gemeinschaft aus, die eilends die Gelegenheit genutzt hatte, um die Weinvorräte zu plündern und dann in weinselig besinnungslosen Schlaf zu fallen.
Dienstagnachmittag
Rosina fühlte sich federleicht, wie bei einem schnellen Tanz zur passenden Musik. Oder beim Lauf auf
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