Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Diensten – es sind ehrliche Tauschgeschäfte –, auch Frauen, sogar Damen. Wirklich bedauernswerte Geschöpfe. Die Spieltische sind gar zu verführerisch. Ich würde mich nie an einen setzen. Aber ich glaube nicht, dass Ihr Inas und unsere Geschichte ausplaudern werdet. Ich kenne Eure Geschichte, Madam Vinstedt, und Ihr seid alles Mögliche, aber nicht bigott. Deshalb bin ich sicher, Drohungen sind überflüssig. Ihr versteht uns, anstatt zu verurteilen.»
Und dann war Madam Junius doch bereit gewesen, Rosinas Neugier zu befriedigen und die Lücke in Inas Geschichte zu füllen.
Ina hieß tatsächlich Marie, den Familiennamen behielt Franziska hier für sich. Als sie die gestohlenen Diamanten verkauft und den ob der Umstände natürlich viel zu geringen Ertrag aufgeteilt hatten, hatte jede ihren ganz eigenen Traum von einem zukünftigen Leben gehabt. Nur Marie wollte einfach ein neues. Sie waren da schon keine Kostkinder mehr, sondern in ihren ersten Stellungen. Als das Kontraktjahr um war, ging Marie fort, in der Tasche ihr neues Leben, nämlich einen Geburtsschein auf Ina Meesters, ehelich geboren, die Namen ihrer Eltern, auch der Paten, allesamt honorige Menschen aus einer Stadt im Brandenburgischen.
Von da an handelte sie klug und hatte dazu das nötige Glück. Sie nahm eine Stellung in Schleswig an, ging mit der Familie nach Kopenhagen, und von dort – hier schließt sich der Kreis – wurde sie an Madam Söder weiterempfohlen, die unbedingt eine deutsch-dänische Gesellschafterin suchte, die bereit war, bei ihr auf St. Croix zu leben, am Ende der zivilisierten Welt. Da sie keine fand, suchte sie wenigstens ein solches Dienstmädchen. Für Marie, nun längst Ina, war das die Erlösung der stets lauernden Angst, doch noch als Betrügerin entlarvt zu werden, am Pranger und dann lebenslang im Zuchthaus zu enden, wieder hinter hohen, diesmal noch fester verschlossenen Mauern. Oder am Galgen.
Madam Söder hatte auf St. Croix viel Zeit und kaum Unterhaltung, sie mochte das Mädchen und machte eine Gesellschafterin aus ihr, eine Mademoiselle. So einfach. Sie polierte ihre Sprache, verhalf ihr zu den paar nötigen Krümeln Bildung (damit war sie selbst nicht gerade reich gesegnet), zu bürgerlichen Manieren. Eines Tages kam ein Gast, ein Kaufmann aus Emden, für einen Mann noch recht jung, schon Witwer, ein wenig streng vielleicht, doch bei nicht zu großen Ansprüchen eine angenehme Partie. Kurz und gut, er tat etwas, was seinem Wesen eigentlich fremd war, er verliebte sich in die bescheidene, auf ihre stille Art auch schöne Gesellschafterin der Hausherrin, und seine Gefühle wurden erwidert.
«So begann Inas Glück», schloss Franziska Junius, «und zugleich ihr Unglück.»
Da hatte sie an die vordere Wand der Kutsche geklopft, mit der sie und Rosina während ihrer ganzen Unterhaltung auf dem Wall hin und her gefahren waren. «Ihr steigt nun besser aus. Und denkt immer daran, Rosina Vinstedt, es ist besser für Euch, wenn Ihr mich nicht kennt. Fühlt Euch in dieser Stadt nicht zu sicher. Wer Euch mit mir sieht und mich kennt, entdeckt gleich in Euch die Hure, denn eigentlich haben sie es ja immer gewusst. Bei mir habt Ihr aber einen Punkt gut. Wenn Ihr mich eines Tages brauchen solltet, zum Beispiel», im Halbdunkel der Kutsche wirkte ihr Lächeln sardonisch, «wenn Euer Ehemann nicht mehr nach Eurem Geschmack ist, wenn ihr mich also brauchen solltet, wendet Euch an Wilhelmine oder Elske, ich werde es erfahren.»
In den Kaffeehäusern, insbesondere in Jensens , in dem auch Monsieur Bahlmann verkehrte, sprach sich herum, der brave Hegolt habe dem Schiffer der Meredith noch einige Briefe nach London mitgeben wollen, womöglich wegen diskreter Geschäfte, die man gerne am Zoll vorbeibetreibe. Was allgemein als üble Nachrede verurteilt wurde, man rede nicht schlecht über einen Toten, der allgemein geachtet gewesen war, schon um die bedauernswerte Witwe nicht in Verruf zu bringen. Da er sich mit dem Fluss und den Gefahren des treibenden Eises noch nicht auskannte, habe er leider den maroden Steg betreten, im März nach einem Eiswinter immer lebensgefährlich, war mit dem brechenden Holz ins Wasser gefallen und ertrunken.
Das komme davon, wenn man sein Kontorpersonal schone und solche Wege selbst auf sich nehme, bemerkte Werner Bocholt zu seinem alten Freund Claes Herrmanns. Der Kaufmannsstand, er habe es immer schon gesagt, sei nicht nur einer der schwersten und risikoreichsten, sondern auch einer der
Weitere Kostenlose Bücher