Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
und kannte den Schiffer, es mochte seltsam erscheinen, war aber sein Recht. Und warum rief er nicht um Hilfe zur Bark hinüber? Natürlich, die Soldaten auf dem Hornwerk, die würden ihn auch hören. Ansgar Hegolt, das war klar, hatte Angst. Er handelte höchst unvernünftig.
«Bonsoir, Monsieur. Was macht Ihr da?» Franziskas Stimme war leise, katzenhaft und doch glasklar. «Ihr Armer, das Boot ist viel zu schwer für Euch. Sollen wir helfen?»
Hegolt fuhr herum wie nach einem Schlag. Franziska wirkte in der Dunkelheit größer, die Luft war dunstig hier unten, sie mochte ihm wie ein Geist erscheinen. Er zuckte zurück, nur für den ersten Moment. Und dann erkannte er die Frau, von der niemand gewusst hatte, dass er sie überhaupt kannte.
«Verschwindet!» Er versuchte seiner Stimme Autorität zu geben, aber sie zitterte. «Verschwindet, das geht Euch nichts an, also mischt Euch nicht schon wieder ein.»
«Es ist seltsam, wenn ein Mann wie Ihr in der Dunkelheit hier an einem alten Beiboot zerrt. Ein ehrbarer Kaufmann, einer, der just so erfolgreich ist, sich in die wichtigen Zirkel und Kontore einzuschmeicheln, der endlich dort angekommen ist, wohin er immer strebte, mit aller Kraft und ohne Rücksicht, nämlich nach oben. Oder was Ihr für oben haltet.»
Sie griff in die Tasche ihres Umhangs und zog etwas hervor, Rosina bemerkte es erschreckt. Franziska hatte eine Pistole in der Hand, eine besonders langläufige. Rosina hatte nicht bemerkt, wie und wann sie sie feuerbereit gemacht, nicht einmal, dass sie sie mitgenommen hatte.
«Warum wollt Ihr unsere schöne Stadt so hastig verlassen?» Das war immer noch Franziskas leise Stimme. «Nach England, nehme ich an. Ihr werdet einsam sein. Ohne Eure geliebte Ehefrau», zischte sie, nun ganz nah vor seinem Gesicht, «sehr einsam.»
Hegolt hob die Hand und stieß sie zurück.
«Vorsicht, Hegolt.» Sie hielt ihm die Pistole entgegen. «Vorsicht. Ich bin geübt mit diesem Ding. Zweifelt besser nicht daran. Welches Gift habt Ihr Ina gegeben?»
«Alles hätte wieder seine Ordnung gehabt, wenn Ihr Euch nicht eingemischt hättet. Nur noch eine Woche oder zwei.»
«Welches Gift? Sagt es mir, dann überlegen wir, ob Ihr auf die Bark dürft. Was sollte ich auch sonst mit Euch anfangen? Für Kerle wie Euch habe ich keine Verwendung. Also: welches Gift?»
In seinem Gesicht, ein heller Fleck in der Dunkelheit, schien so etwas wie Hoffnung auf, neue Kraft, sein Blick glitt rasch zum Schiff hinüber, als rechne er seine Chancen aus. Wenn Inas Geist wieder klar wurde, wenn sie sich weiter erinnerte, wenn sie redete, hatte er verloren. England konnte für ihn Freiheit bedeuten, und von England konnte er weiter in die Welt. An Orte, wo es lukrative Geschäfte und wenig Fragen gab.
«Meine Ehefrau?» Seine Stimme klang gehässig und rechthaberisch. «Das ist sie nicht. Sie hat mir nur eine vorgespielt. Ich habe ein Phantom geheiratet.» Mit jedem Wort kehrte mehr seiner selbstsicheren Arroganz zurück, seiner wütenden Gekränktheit. «Die brave Gesellschafterin im Hause Söder, sittsam in dem Garten voller betörender Düfte auf der karibischen Insel, demütiger Blick, wie es sich gehört. Die richtige Frau für einen ehrbaren Kaufmann, keine besonders gute Partie, aber eine anständige. Dabei hat sie mich gemein umgarnt, weiß der Teufel, welches Zaubermittel sie in ihre Augen getan hat. Das hatte sie bei dir gelernt, bei dir und den – Schwestern. Vom Roten Haus. So nennt ihr euch doch. Ich weiß genau, dass an deinem Haus die rote Laterne hängt, ich weiß, was da vorgeht, und ich weiß, was sie war, bevor sie die demütige Mademoiselle spielte, um die Sinne anständiger Männer zu verderben. Wie ihr alle. Gott hat sie gestraft, da hätte ich es schon wissen müssen. Er hat sie mit einem Krüppelkind gestraft.»
«Krank bist nur du, Hegolt. Ina war nie eine Hure, niemals. Das war nur ich, keine sonst von uns, und das Rote Haus», sie lachte heiser, «das Rote Haus steht am Rödingsmarkt. Du bist dort Provisor, verdammt ehrenhaft für einen Giftmörder. Wenn die Sonne im Sommer tief über der Elbe steht, glüht der Backstein im Abendrot – das Waisenhaus war unser ‹Rotes Haus›, du Idiot.»
Er starrte sie an, als habe sie in einer fremden Sprache gesprochen. «Du lügst, ihr alle lügt. Und zerstört das Leben ehrbarer Leute.»
«Ehrbar kann ich nun nicht mehr hören», versetzte Franziska, aber er achtete nicht darauf.
«Ihr verderbten Weiber zerstört alles.
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