Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Beileidsbekundungen im Hause abzusehen.
Auch Rosina hatte die Anzeigen gelesen. Immer noch holten sie die Bilder dessen ein, was wirklich geschehen war. Auf ihren Schrei, Franziska möge Hegolt zurückziehen, zurück vom Steg, waren die Soldaten oben auf der Bastion aufmerksam geworden und hatten sich gleich auf den Weg gemacht, um das Hornwerk herum und hinunter zum Ufer. Natürlich war es längst zu spät. Von Ansgar Hegolt war nichts mehr zu sehen gewesen, nur sein Mantelumhang und sein Reisesack lagen im Sand.
Es war Rosinas Schrei gewesen, der alle ganz selbstverständlich annehmen ließ, Franziska sei auf dem gefährlichen Steg gewesen, um den verunglückenden Mann zu retten. Und tatsächlich wäre sie fast selbst in den Fluss gestürzt, hätte nicht Rosina sie von dem weiter einbrechenden Steg zurückgerissen. Plötzlich waren überall Männer gewesen, die Soldaten von der Bastion, eine Handvoll Seeleute aus der Schänke vom Hamburger Berg, andere, die von der Meredith herüberschauten und -riefen.
Als sie später endlich in die Mattentwiete heimkehrte, erschöpft und verwirrt, erwartete sie die vor Sorgen schon verzweifelnde Pauline, ein angstvoll bleicher Tobias. Da werden Frauen in der Stadt ermordet, schrie Pauline – ganz und gar nicht angemessen für eine Dienstbotin –, und sie bleibe so lange aus, alle suchten schon nach ihr, Brooks, Weddemeister Wagner, überhaupt alle.
In Rosinas Kopf zählte es sich anders. Zwei Frauen waren ermordet worden, eine fast vergiftet. Und ein Mann war – getötet worden? Seinem Schicksal überlassen? Franziskas Hand, die die rettende Pistole hielt, hatte einfach losgelassen. Triumphierend. Hegolt zu töten musste von Anfang an ihr Plan gewesen sein, deshalb hatte sie den Wachsoldaten, deren Offiziere sie offensichtlich nur zu gut kannte, nicht die Jagd nach ihm überlassen. Und sie, Rosina, hatte mitgemacht. Sie hatte nicht nachgedacht, nicht überlegt, sie war einfach losgerannt. Wie ein eifriges Hündchen. Ein neugieriges Hündchen. Es war eitel gewesen.
«Ich weiß nicht, was Ihr wollt», hatte Franziska gesagt, als sie sie später bei einem diskreten Treffen danach fragte, «so wie es nun ist, ist es gut. Ina ist eine ehrbare Witwe – was sie im Übrigen tatsächlich ist, mit ihrer ganzen reinen Seele, egal, was die Leute sagen würden, wüssten sie die Wahrheit. Ihre Töchter und sein Sohn – den Jungen solltet Ihr bei alledem nicht vergessen! – können um ihren guten Vater trauern. Sie müssen sich nicht ihr Leben lang damit herumschlagen, dass sie einen gemeinen und selbstgerechten Mörder zum Vater haben. Wie hat er da auf dem schwankenden Steg gesagt? Schlechtes Blut. Wenn man selbst und die Gesellschaft, in der man lebt, so etwas von einem glaubt, hat man keine Chance. Glaubt mir, ich weiß das gut. Ich bin auf meine Weise entkommen, mehr oder weniger, aber nicht jede kann meinen Weg gehen.»
«Was Ihr getan habt, war also eine selbstlose Tat.»
«Kommt mir jetzt nicht mit Moral, Madam Neunmalklug. Ihr wisst genauso gut wie ich, wie gnadenlos sie sein können, die braven Bürger. Passt gut auf, wenn nur ein Verdacht auf Euch fällt, wenn Ihr nur einmal von dem Pfad der gebotenen Tugend abweicht, auch nur in den Ruch kommt – dann werdet Ihr es wieder erleben. So wie vor Eurer Heirat. Nein, schlimmer. Da wart Ihr einfach eine Wanderkomödiantin, von der nichts anderes erwartet wurde, nun würden sie Euch als eine Hexe brandmarken, die sich in die brave Gesellschaft eingeschlichen und alle betrogen und lächerlich gemacht hat. Das verzeihen sie nie.»
«Ihr habt es also für Ina getan, für Eure Schwester.»
«Haltet mich nur nicht für selbstlos oder gar edelmütig. Nichts liegt mir ferner. In meiner Welt gibt es weder das eine noch das andere. Alles, was ich tue, tue ich einzig für mich.»
Da lächelte Rosina, zum ersten Mal in diesem Gespräch. «Ihr habt schon besser gelogen», sagte sie, «aber das ist mir einerlei. Ihr habt mir noch gar nicht gedroht. Ich weiß nun um Inas Geheimnis, jedenfalls um einen Teil davon, ich wüsste gerne noch, wie sie es so weit geschafft hat. Aber wenn ich rede …»
«… werdet Ihr es bitter bereuen! Ihr müsst inzwischen bemerkt haben, dass mein Arm weit reicht. Ein Institut, wie ich es betreibe, bietet erstaunliche Möglichkeiten. Wenn man geschickt ist, erfährt man alles, was man will, hat überall Spione, freiwillige und unfreiwillige, viele Männer sind gegen entsprechende Diskretion gerne zu
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