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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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musste. Als Wagner leicht ihre Schulter berührte, fuhr sie herum und rief: «Nein, verdammt, ich werde nicht gehen, bevor … Ach, Ihr seid es, Wagner. Verzeiht, ich dachte, es ist wieder dieser uneinsichtige Mensch in seinem roten Rock mit den blauen Aufschlägen. Er denkt, ich falle in Ohnmacht oder bekomme Krämpfe, wenn sie endlich herausziehen, was ich dort entdeckt habe. Noch», fügte sie leiser hinzu und schluckte, «noch ist ja nicht klar, ob ich richtig gesehen habe. Ich wünschte, ich hätte mich geirrt. Das wünschte ich wirklich. Ich bin sehr froh, dass Ihr hier seid. Wer hat Euch gerufen?»
    «Nun ja.» Wagner holte ein großes blaues Tuch aus der Rocktasche und wischte sich ausgiebig über die schwitzende Stirn. «Genau genommen hat mich niemand gerufen, ich kam zufällig vorbei und sah den Auflauf, die vielen Menschen und, ja, hier bin ich.»
    «Und ich bin froh, Euch hier zu sehen, Wagner, wirklich sehr froh. Diese Holzarbeiter wollten zuerst nicht glauben, dass da etwas im Wasser ist, was nicht hineingehört, besonders der Ältere, der Blonde. Er wollte, dass wir einfach nach Hause gehen, weil es zweifellos nur ein Stück Wagenplane sei oder etwas in der Art. Der Jüngere war immerhin neugierig», sie krauste spöttisch die Nase, «dann war ich damit nicht allein.»
    «Ihr wart wieder Schlittschuh laufen, oder?», fragte Wagner mit plötzlicher Strenge, wippte einmal kurz auf seine Fußspitzen und zeigte auf die Schlittschuhe, die neben Rosina auf den Hölzern lagen. «Das solltet Ihr nicht tun, schon gar nicht allein. Ihr seht, was dabei herauskommt. Man hat mir gerade erzählt, dass Ihr nur deshalb nicht auch unter dem Eis liegt, weil die Männer vom Borgesch Euch von den Schollen gezogen haben. Wenn Magnus hier wäre – nun ja.»
    «Ach was, Magnus. Der ist weit. Eure Sorge ist nett, alter Freund, aber überflüssig. Von Schollen kann noch keine Rede sein, seht doch, wie die Soldaten sich abrackern, um – na ja, um den Fund zu bergen. Ist das Dr.   Pullmann dort bei den Soldaten?»
    Wagner nickte. Er hielt es für überflüssig, zu erklären, dass die Uniformierten einzig deshalb so langsam vorankamen, weil der Arzt verlangt hatte, die Leiche möglichst vollständig und von Eishaken und Äxten unversehrt zu bergen.
    Seit der Militärwundarzt mit dem ziemlich unmilitärischen Verhalten und der Weddemeister vor etwa zwei Jahren einige unerfreuliche, rein dienstliche Begegnungen gehabt hatten, hatten sie sich ganz gegen ihre Absicht angefreundet. Hin und wieder saßen sie nun gemeinsam auf der Bank hinter Pullmanns Haus neben der Mühle beim Lombard, dem einstigen Müllerhaus, blickten über die Alster auf die Türme und Dächer der Stadt, sprachen wenig und tranken dazu das eine oder andere Glas miteinander.
    «Ja», wieder fuhr das blaue Tuch über Wagners Stirn, «der Doktor hat mich ein Stück begleitet. Wir hatten etwas zu besprechen. Etwas Amtliches. In seinem Haus beim Lombard.»
    Seine stete Sorge, er könne der Faulheit oder gar der Vernachlässigung seines Amtes verdächtigt werden, wenn er einmal eine halbe Stunde lang einfach einen schönen Tag genoss, hatte Rosina schon immer amüsiert. Sie schluckte eine spöttische Bemerkung hinunter – der gute Wagner war bisweilen gar zu empfindsam – und kletterte von ihrem Holzstapel, schüttelte die Decke ab und zog ihn am Ärmel mit zu den Männern am Ufer.
    Diesmal hielt sie niemand auf. Alle starrten auf das Geschehen, sogar das Schwatzen und Gelächter der Schaulustigen war zu gespanntem vereinzeltem Geflüster herabgesunken. Die Soldaten hatten unter genauen Anweisungen des Wundarztes eine Eissäge eingesetzt, drei von ihnen standen mit kaum vor Wasser und Kälte schützenden, weit über die Oberschenkel reichenden Ölzeugstiefeln im Wasser. Nun hievten sie unter Ächzen und kurz gebellten, unverständlichen Kommandos – vielleicht waren es auch Flüche – ein seltsames Gebilde aus der Alster, nämlich einen tropfenden und bröckelnden länglichen Eisbrocken, aus dem ein Arm herabhing und etwas, das nach einer Stoffbahn aussah, nach einem Stück von einem nur noch blass blaurot gestreiften Rock.
    Ein wohlig schauderndes Raunen ging durch die gaffende Menge, und als sich auch ein weißes Bein samt dem nackten Fuß aus dem gestreiften Stoff schob und wie der Arm herabhing, schrie eine Frau in der ersten Reihe der Menge auf, riss sich von einer anderen, die sie versuchte festzuhalten, los, drängte sich zwischen den Soldaten hindurch

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