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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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und stürzte nach vorne bis ans Ufer. Sie starrte auf das schmelzende Eis, auf die Gestalt, die noch halb darin steckte, schwankte einen Schritt zurück, drehte sich endlich um und hastete stolpernd davon.
    Rosina richtete sich auf und sah ihr so verblüfft wie neugierig nach. «Wer war das?», fragte sie Wagner. «Kennt Ihr die Frau?»
    Der zuckte nur die Achseln. In diesem Moment interessierte ihn einzig die Tote, die nun am Ufer lag. So schnell Rosina auch über das berstende Eis gerutscht war, sie hatte sich nicht geirrt. Was sie darin gesehen hatte, war eine weibliche Leiche.
    Wagner blickte missmutig darauf hinab. Er verabscheute Wasserleichen. Sie boten einen äußerst unerfreulichen Anblick, da alles, was im Wasser herumschwamm und kroch, sich an ihnen gütlich getan oder sogar ganz in ihnen eingerichtet hatte, weil sie aufgedunsen waren wie überfüllte Schweinsblasen, weil – kurz und gut, weil sie über die Maßen unerfreuliche Funde waren. Er mochte überhaupt keine Leichen, wer mochte die schon, abgesehen von den Bestattern und Totengräbern, die durch sie ihr Brot verdienten? Solange sie jedoch frisch waren, erst einen oder zwei Tage tot, fand er sie erträglich. Schließlich gehörte es zu seinem Amt, sich mit ihnen zu befassen. Zum Glück kam das nicht so oft vor, wie man in einer solch großen Stadt mit ihren bald hunderttausend Bewohnern annehmen könnte. Natürlich starben an jedem Tag Menschen aus den unterschiedlichsten Ursachen, so war der Lauf der Welt. Jedoch musste sich der Weddemeister nur mit einer geringen Zahl befassen. An schlechten Tagen argwöhnte er allerdings, so mancher vermeintlich natürliche Tod habe heimlich und unerkannt ganz andere, in hohem Grade verwerfliche Ursachen.
    Diese Tote war schon lange aus dem Leben geschieden, nämlich bevor sich die Eisdecke geschlossen hatte, und wahrscheinlich freiwillig – womöglich aus unerwiderter Liebe, womöglich wegen einer unerwünschten Leibesfrucht –, doch der harte Frost der letzten Wochen hatte sie im Eis wunderbar frisch gehalten. Plötzlich war Wagner froh. Obwohl die Leiche nicht mehr ganz und gar komplett war, hatte sein empfindsamer Magen keinen echten Grund, gegen ihren Anblick zu rebellieren. Seine gute Stimmung trübte sich ein wenig, als er neben Rosina in die Hocke ging, die wiederum in der sich um die Leiche vergrößernden Pfütze neben Dr.   Pullmann hockte.
    «Ihr könnt nur Rosina sein», sagte der Wundarzt gerade, ohne den Blick von der Toten zu lassen, die er behutsam von Eisbrocken befreite, «pardon, natürlich Madam Vinstedt. Ich habe von Euch gehört und wüsste keine andere Frau, die sich am hellen Tag vor den Augen der halben Stadt neben eine unbekannte Tote kniet, dazu im teueren wattierten Gewand und in diesen Matsch. Kompliment, Madam, das ist nach meinem Geschmack, ich hoffe, auch Euer Gatte weiß das zu schätzen. Was haltet Ihr von dem hier?» Er zeigte auf einige unterschiedlich dunkle Flecken am Hals der Toten.
    Rosina war entzückt. Nicht von den vage erkennbaren Würgemalen, sondern weil da einer war, der sie ernsthaft um ihre Meinung fragte, dazu in einer Angelegenheit von der Art, die in vielen Häusern vor Damen, überhaupt vor Frauen, nicht einmal erwähnt wurde. Seit sie sich vor fast einem Jahrzehnt aus reiner Notwehr auf die Suche nach einem Mörder gemacht hatte, weil sonst Jean, ihr unschuldiger Theaterprinzipal, am Galgen geendet wäre, hatte sie sich immer wieder in Weddemeister Wagners Arbeit gemischt – nicht in jedem Fall hatte er darum gebeten. Ihre Suche, zumeist die reinste Schnüffelei, für die sie auch in ihre Bühnenkostüme und fremde Rollen geschlüpft war, hatte zumeist im Verborgenen stattgefunden. Es gab ihr eine geradezu lächerliche Befriedigung, dass es in diesem Moment anders war.
    «Da hat jemand auf eine sehr ungute Weise Hand angelegt.»
    Pullmann schob die Unterlippe vor und legte mit skeptischem Blick den Kopf zur Seite. «An so etwas habe ich auch gedacht. Was denkst du, Weddemeister?»
    Der dachte mit einem Anflug von Unmut, dass diese Leiche nun doch zu seiner Angelegenheit wurde, zugleich ertappte er sich bei etwas, das sich verdammt nach Eifersucht anfühlte. Rosina war im Laufe der Jahre zu einer wirklichen Freundin geworden, längst auch für Karla, seine noch sehr junge Frau. Pullmann wurde gerade zu einem Freund, was erstaunlich war, denn als schüchterner Mensch tat Wagner sich mit Freundschaften schwer. Anstatt sich zu freuen, wenn diese beiden,

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