Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Handelshauses und blieb verblüfft stehen. Gestern war es hier sicher nicht verlassen, aber doch halbwegs ruhig gewesen, heute tönten ihm wie ein vielstimmig summender Chor deutsche und heimische Dialekte entgegen, dazwischen meldeten sich ein Maultier und ein Esel, Karrenräder quietschen und knarrten. Der nach oben offene Innenhof war groß, im Schutz des haushohen unteren Arkadenganges, dem ersten von vieren, stapelten sich nun Fässer, Säcke, auch Kisten, weitere waren beim Brunnen gelagert, der die Mitte des Hofes dominierte. Da war mehr als ein Schiff angekommen, woher auch immer.
Magnus kannte sich nun schon aus – wenigstens hier – und stieg die Treppe zum zweiten Stock hinauf, ging durch den entlang des ganzen Innenhofes verlaufenden Arkadengang und fand die Tür der Nürnberger. Sie war verschlossen, ebenso die zweite, hinter der sich die dazugemietete Wohn- und Schlafkammer verbarg. Es blieb still, nur von unten drangen Stimmen und die Geräusche der Händler und Fuhrleute herauf.
Diesmal war es nicht der Leipziger, der ihn ansprach, sondern ein Kaufmannsgehilfe aus Mainz. Falls er zu den Nürnbergern wolle, zu den Durheims – die seien auf dem Festland. In einer der vornehmen Villen am Brenta-Kanal, wo die reichen Venezianer ihre Sommerfrische verbrächten, stehe kostbares Mobiliar zum Verkauf, auch Spiegel, eine überall begehrte Ware. Es habe sich mal wieder einer der Noblen ruiniert.
Er wusste nicht, wann die Durheims zurückerwartet wurden, und hatte gehört, sie wollten, wenn sie schon auf dem Festland seien, vielleicht noch in Padua Besuch machen. Kurz und gut, sie würden mindestens eine Woche fort sein, eher zwei.
Irgendetwas lief hier verdammt schief, Magnus bemühte sich, den freundlichen Mainzer seinen Ärger nicht spüren zu lassen. Zwar hatte er die beiden Seidenhändler, bei denen Blanck vorsprechen sollte, gefunden und besucht, zwar waren sie ebenso freundlich gewesen – von Blanck allerdings hatten sie nie gehört. Auch der Name Johannes Pauli sagte ihm nichts, in Hamburg hatten sie bisher nur Geschäfte mit dem Seidenhändler König gemacht. Was Magnus zuerst höchst seltsam erschien, hatte er sich bald damit erklärt, dass Blanck ja gerade erst diese Geschäfte erkunden und wenn möglich hatte einleiten sollen.
Heute war es zu spät, aber morgen würde er tun, was er längst hätte tun sollen, nämlich zu der Bank zu gehen – wenn er sie denn fand –, auf die Paulis Wechsel ausgestellt waren. Dann würde er sehen, welche eingelöst worden waren – was aber nichts darüber aussagte, wozu Blanck das Geld verwendet hatte. So einfach verriet ein Wechsel seine Spur nicht. Die Hamburger Bank war in ganz Europa renommiert – sie galt als eine der sichersten, was sie tatsächlich war. Was wiederum bedeutete, Blanck würde die Wechsel von dieser Bank auch außerhalb Venedigs einlösen können. Sie waren für ihn so gut wie bares Geld.
Spät an diesem Abend stand Magnus auf seinem schmalen Balkon und sah auf den nächtlichen Canal Grande hinunter, er sehnte sich nach Rosina und versprach ihr in Gedanken, weiterhin stark zu bleiben und sich nicht zu hohen Einsätzen am Spieltisch verführen zu lassen. Die Überfülle an Bildern dessen, was er heute an Pracht und buntem Leben gesehen hatte, schwirrte noch in seinem Kopf herum wie die Musik der kleinen Kapelle und der Gesang der Sopranistin, und plötzlich mutete ihn diese ganze Geschichte mit der Verfolgung des betrügerischen Schreibers höchst seltsam an.
Vielleicht lag es an der Nacht, die die Umrisse der Dächer und Türme, das Schimmern des schwarzen Wassers, den sternenübersäten Himmel, das ganze nächtliche Wispern und Flüstern zu einer geheimnisvollen Kulisse verwob, an den hier und da noch über die schmalen Gänge entlang der Kanäle huschenden Gestalten – plötzlich sah er dieses ganze übereilte Unternehmen in einem neuen Licht. Was war, wenn man ihn nur aus Hamburg hatte fortschicken wollen?
Verrückt, oder nicht? Fort, warum?
Fort von Rosina, von wem sonst? Der Gedanke überflutete ihn wie eine heiße Welle. Heiß vor Angst um den Menschen, den er am meisten auf der Welt liebte. Mit einer Tiefe, Innigkeit und Leidenschaft, wie er sie vorher nicht gekannt hatte. Was, wenn …?
Nein! Niemand hatte ahnen können, dass an diesem Abend bei Herrmanns der Plan, der Entschluss zu dieser Reise entstehen würde. Niemand, nicht einmal Pauli. Oder doch? Hatte er das alles nur klug eingefädelt? Das war nun wirklich zu
Weitere Kostenlose Bücher