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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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beschäftigte sie weiter die Liebesbeziehung ihrer Großmutter zu Edward Hampton. Ob Cathleen Sherwood etwas davon geahnt hatte? Wie musste sich Amalia gefühlt haben, als sie dann in das Heim gekommen war?
    Vielleicht wusste Jacob Finkenstein mehr über die Vergangenheit ihrer Großmutter, überlegte sie. Immerhin hatte sie ihm auch ihren wahren Namen verraten.
    Jacob Finkenstein war ein hochgewachsener Mann von Mitte fünfzig, dessen Gesicht noch immer eine deutliche Ähnlichkeit mit dem des sommersprossigen Jungen aufwies, den Melinda auf dem Foto gesehen hatte. Er lebte eigentlich in Cambridge, wo er als Bibliothekar arbeitete, kam aber regelmäßig nach London, um seine Familie zu besuchen. Er war ein selbstbewusster, sympathischer Mann, den Melinda auf Anhieb mochte.
    »Wie schön, Sie kennenzulernen, Miss Leewald«, sagte er in einer etwas monoton klingenden Sprache und mit einem warmen Lächeln, als Mrs Finkenstein sie einander vorstellte. Seine dunkelbraunen Augen betrachteten sie mit einer eindringlichen Intensität, als würde er weit mehr von ihr wahrnehmen als nur ihr Aussehen.
    »Ich spreche nicht viel. Ich werde meine Schwester deshalb lieber übersetzen lassen«, sagte Jacob und Melinda stellte zu ihrer Überraschung fest, dass er sich mit Mrs Finkenstein in der Gebärdensprache verständigte.
    »Wir haben es damals alle gelernt«, erklärte die Bankdirektorin, als sie sich zu Tisch begaben.
    »Ich freue mich sehr, jemanden zu treffen, der meine Großmutter so gut gekannt hat«, wandte Melinda sich zu Jacob.
    Ich verdanke ihr sehr viel, erwiderte er, übersetzt von seiner Schwester. Obwohl ich klein war, erinnere ich mich noch heute, wie ich mich fühlte, bevor Ihre Großmutter in mein Leben trat. Es kam mir vor, als wäre ich in mir selbst gefangen. Ihre Großmutter schaffte es, behutsam und sanft durch meinen Panzer der Ablehnung zu mir vorzudringen. Sie verstand, was in mir vorging. Es war ein wenig so, als würde sie in meinem Kopf lesen können. Ich habe übrigens lange geglaubt, dass sie das tatsächlich konnte. Sie hatte diesen Blick … Er lachte mit funkelnden Augen und hielt dabei einen Moment lang in seinen Gebärden inne.
    Melinda erinnerte sich, wie Jacob sie selbst bei der Begrüßung angeschaut hatte, und verstand, was er meinte.
    »Es erstaunt mich, dass alle von ihr als einem Menschen mit so positiver Ausstrahlung berichten, obwohl sie so viel durchgemacht hatte«, sagte sie zögernd.
    Jacob nickte und bewegte gebärdend die Hände. Unterschätzen Sie Ihre Großmutter nicht! Das Wertvollste, das sie mir beibrachte, war, mein Selbstmitleid zu überwinden. Sie zeigte mir, dass die Welt nicht schlechter, sondern nur anders geworden war. Dass es auch Dinge gab, die ich durch den Verlust meines Gehörs geschenkt bekam – eine andere Art zu sehen und zu fühlen, zum Beispiel. Das war für mich als Kind sehr wichtig – sie hat mir damals in gewisser Weise mein Leben zurückgeschenkt.
    Melinda blickte ihn überrascht an. Aus dieser Perspektive hatte sie die Taubheit tatsächlich noch nie gesehen.
    Ihre Großmutter hasste Mitleid , fügte Jacob hinzu. Sie sagte immer, das sei der Blick der anderen auf eine Welt, die sie nur nicht kannten.
    Melinda schwieg nachdenklich und sah dabei wieder das alte Familienfoto vor sich, das ihr Mrs Finkenstein einmal gezeigt hatte. Sie entsann sich, wie vertraut das Verhältnis von Jacob und ihrer Großmutter gewirkt hatte.
    »Dürfte ich Sie etwas fragen? Sie hat Ihnen als Einzigem ihren richtigen Vornamen verraten. Hat sie Ihnen auch erzählt, was damals geschehen ist?«
    Jacob schüttelte den Kopf, bevor er einen Schluck Wein trank. Nein. Ich habe sie einmal gefragt. Damals war ich schon etwas älter und spürte, dass sie manchmal sehr traurig war. Doch sie hat es mir nicht gesagt. Es spielt keine Rolle, Jacob. Ich habe nichts mehr mit diesem Leben zu tun, hat sie mir geantwortet.
    Für einen Moment herrschte Stille am Tisch. Mrs Finkenstein hatte aufgehört zu sprechen und Jacob in seinen Gesten innegehalten.
    »Wie kommen Sie mit Ihren Nachforschungen voran?«, erkundigte sich die Bankdirektorin schließlich.
    Melinda berichtete, was sie in Erfahrung gebracht hatte. »Ich hoffe, durch die Unterlagen des Journalisten noch mehr herauszubekommen.«
    Jacob blickte sie nachdenklich an, bevor er erneut die Hände bewegte. Ihren Fragen entnehme ich, dass Caroline, Ihre Mutter, nicht viel über Ihre Großmutter gesprochen hat, oder?
    Melinda schüttelte den

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