Die Schwestern von Sherwood: Roman
genau die richtige Entscheidung gewesen zu sein.
»Nun, es war mir und meinem Mann sofort ein tiefes Anliegen, etwas zu spenden, als wir von diesem Waisenhaus hörten«, sagte Elisabeth zu Mr Kilburn und Mrs Gibbon und strich dabei der kleinen Anne über den Kopf. Hoffentlich hatte das Kind keine Läuse.
»Erlauben Sie mir die Frage, ob Ihre eigene Erfahrung Sie dazu bewogen hat?«, erkundigte sich Mrs Gibbon, als sie endlich den Schlafsaal verließen.
Elisabeth blickte sie verwirrt an.
»Ich wollte damit fragen, ob Sie selbst auch als Waise aufgewachsen sind?«
Es klang freundlich, fast unschuldig, doch Elisabeth drohten für einen kurzen Augenblick die Gesichtszüge zu entgleisen, als Mrs Gibbon so offen aussprach, sie hielte es für möglich, dass sie aus solchen Verhältnissen stamme. Sie umklammerte den Griff ihres Schirms etwas fester.
»Bei Gott, nein«, erwiderte sie, bemüht, ihrer Stimme einen selbstbewussten Ton zu geben, was ihr leider nicht ganz glückte. Sie spürte selbst, dass sich ihr deutscher Akzent plötzlich verstärkte, wie immer, wenn sie emotional um Beherrschung kämpfte.
»Mein Mann und ich sind aber der Meinung, dass die Waisen einer besonderen Unterstützung bedürfen. Ebenso übrigens wie die Kriegsversehrten – und auch die Witwen«, sagte sie und richtete ihre Augen bei diesen Worten einen Augenblick lang auf das schwarze Kleid von Mrs Gibbon. »Nicht alle sind ja in der glücklichen Lage, ohne Hilfe und Unterstützung leben zu können«, setzte sie mit Nachdruck hinzu und bemerkte zu ihrer Befriedigung, dass Mrs Gibbon ihrem Blick auswich.
»Natürlich, da haben Sie ohne Frage recht!«, sagte die Vorstandsvorsitzende schließlich.
»Mr und Mrs Sherwood sind wirklich überaus großzügig. Sie unterstützen auch unseren Verein zur englischen Pflanzenzucht«, mischte sich Mr Kilburn eifrig in den Wortwechsel ein.
Elisabeth lächelte bescheiden. »Ach, ich bitte Sie, das müssen Sie doch nicht erwähnen«, sagte sie und dankte insgeheim dem glücklichen Umstand, dass Mr Kilburn nicht nur Leiter des Waisenhauses war, sondern in seiner Freizeit auch Mitglied dieses anderen Vereins. Was sie natürlich gewusst hatte.
»Wir geben nächstes Wochenende ein kleines Fest für die Stiftung und Förderer von St. Thomas. Unsere Waisenkinder werden etwas vortragen, es werden einige Reden gehalten und Erfrischungen gereicht. Ich denke, es würde Mrs Sherwood und ihrem Mann bestimmt eine Freude machen, zu diesem Anlass auch zu kommen. Denken Sie nicht auch, Mrs Gibbon?«, fragte Mr Kilburn.
Einen Moment lang war es still. »Selbstverständlich. Wenn Sie es einrichten können, würden wir uns sehr freuen, Sie als Gäste begrüßen zu dürfen«, versicherte Mrs Gibbon dann höflich.
»Aber natürlich!« Elisabeth strahlte und wandte sich noch einmal zu ihr. »Wir haben zwei Töchter. Ich würde sie sehr gern mitbringen. Denken Sie, dass der Anlass es erlaubt?«
Diesmal blickte Mrs Gibbon sie überrascht an. Dann glitt ein leichtes Lächeln über ihre Lippen. »Natürlich. Tun Sie das. Viele von unseren Förderern und Stiftungsmitgliedern werden ihre Kinder mitbringen«, erklärte sie.
17
D ie Einladung zu dem Sommerfest schien Elisabeth ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung zu sein. Sie wusste, dass sich nicht nur Mrs Gibbon und Mr Kilburn, sondern vermutlich fast alle Leute hier in der Gegend fragten, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen waren. Man sprach über sie, seitdem sie das ehemalige Anwesen des Herrenhauses Landshire gekauft hatten, aber John und sie vermieden es, Einzelheiten über ihre Vergangenheit bekannt werden zu lassen. Sie war nicht dazu angetan, ihnen den Zutritt zur besseren Gesellschaft zu erleichtern.
Ihr Vermögen war nicht über Nacht entstanden. Jahre der Entbehrungen und harter Arbeit lagen hinter ihnen. Es war eine Mischung aus Fleiß, Verzweiflung, zähem Durchhalten, den richtigen Entscheidungen und glücklichen Zufällen, die sie dorthin gebracht hatten, wo sie heute standen. Während John der erlangte Reichtum jedoch mit Selbstsicherheit und Zuversicht erfüllte, erfasste Elisabeth oft eine tiefe Unruhe, wenn sie daran dachte, wie leicht alles hätte anders kommen können. Es ängstigte sie, wie willkürlich die Launen des Schicksals waren. Manchmal, in den ruhigen Momenten ihres Alltags, in denen sie sich nicht dagegen wehren konnte, dass die letzten Jahre vor ihrem geistigen Auge vorbeizogen, kam es ihr wie ein Wunder vor, was sie
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