Die Schwestern von Sherwood: Roman
dahinjagten, die edelrassigen Hunde, die man spazieren führte, und die prachtvollen offenen Kutschen, in denen die Damen und Herren der Hocharistokratie mit aufgespannten Sonnenschirmen und Zylindern ihre nachmittäglichen Ausfahrten machten.
Zufrieden stellte sie fest, dass Cathleen beeindruckt war, und für einen flüchtigen Moment erinnerte Elisabeth sich daran, wie sie vor vielen Jahren hier einmal mit John gesessen hatte. Sie hatten sich geschworen, ihre Welt hinter sich zu lassen, und es war ihnen gelungen. Elisabeth wandte sich zu ihrer Tochter um, die sich an sie geschmiegt hatte. Mit Genugtuung nahm sie dabei zur Kenntnis, dass von den männlichen Reitern, die ihren Weg kreuzten, mehr als einer bei Cathleens Anblick interessiert aufmerkte. Ja, ihre Tochter war ein Juwel!
»Das alles kannst du haben – es steht dir offen«, sagte Elisabeth. Sie strich Cathleen übers Haar. »Aber du musst begreifen, dass Amalia nicht für diese Welt gemacht ist. Es ehrt dich, dass du dir wünschst, sie wäre überall dabei, aber das geht nicht. Ich weiß, dass du sie liebst, und es ist tragisch, was mit ihr geschehen ist, aber deine Schwester ist nicht wie du!« Sie blickte sie an. »Sie ist taub und kann nicht richtig sprechen – sie besitzt nicht deine Intelligenz und deinen Geist.«
»Wie kannst du so etwas sagen, Mum? Amalia ist sogar sehr intelligent«, widersprach Cathleen empört.
Elisabeth konnte spüren, wie sie ein Stück von ihr abrückte, und begriff, dass es höchste Zeit war, dieses Gespräch zu führen. »Woher willst du das wissen? Niemand kann in ihren Kopf schauen.«
»Aber du siehst doch, wie sie malt und was sie liest, und außerdem kann ich mich sehr gut mit ihr unterhalten – auf unsere Weise!«
»Eure Sprache, ja, ich weiß.« Elisabeth wurde allein bei dem Gedanken daran nervös. Sie hasste es, wenn ihre Töchter sich mittels dieser Gebärden und Zeichen unterhielten. Sie wirkten wie zwei Wilde, beinahe so, als wären sie etwas debil. Sie blickte ihre Tochter mit ernster Miene an.
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber du musst lernen, dich von ihr zu lösen, Cathleen. Im Interesse deiner Zukunft ist es wichtig, dass Amalia sich im Hintergrund hält und am besten nirgends in Erscheinung tritt. Egal, was du in ihr siehst – auf die meisten Leute wirkt ein Mensch wie sie zurückgeblieben und … verstörend. Und dieses Bild fällt auf dich und uns alle zurück. Verstehst du das?«
Cathleen hatte die Lippen zusammengepresst und den Blick starr auf die gepflegten Rasenflächen gerichtet, an denen die Kutsche vorbeirollte.
Elisabeth ergriff sie fest an ihrem Arm. »Ich habe dich gefragt, ob du das verstehst.« Ihr Ton klang barscher, als sie beabsichtigt hatte. Sie hätte viel früher einschreiten müssen, dachte sie und sah mit Besorgnis, dass ihre Tochter weiß wie eine Wand geworden war.
»Ich verstehe nur, was du glaubst, aber Amalia ist nicht so«, sagte Cathleen tonlos. Es war nicht die Antwort, die Elisabeth hatte hören wollen, doch sie ließ ihren Arm los. Auch hier brauchte es Geduld und Beharrlichkeit, und man musste in kleinen Schritten vorgehen.
46
J ohn Sherwood saß an seinem Schreibtisch aus Mahagoniholz und betrachtete mit zufriedener Miene die Unterlagen, die er aus London geschickt bekommen hatte. Während der Jahre, in denen er sein Unternehmen aufbaute, hatte er gelernt, von welch ungeheurer Bedeutung die richtigen Verbindungen und Informationsquellen für seine Geschäfte waren. Damals, vor vielen Jahren, als Elisabeth voller Panik nach Hause gestürzt kam und ihm von Mr Thomsons Prognose für den Teemarkt berichtet und sie so davor bewahrt hatte, ihr mühsam erarbeitetes Geld zu verlieren, hatte er das endgültig verstanden. Seitdem hatte er unermüdlich daran gearbeitet, sich ein weitgespanntes Netz von Kontakten aufzubauen. Im Laufe der Zeit hatte er dabei begriffen, dass es keineswegs die Menschen der höheren Gesellschaftsschichten waren, die ihm am besten weiterhalfen. Die entscheidenden Dinge hatte er oft von denen erfahren, die diesen Leuten dienten – von Kutschern, Dienstmädchen und Stallknechten.
Inzwischen gefielen John längst nicht mehr nur die Vorteile, die er aus diesen Informationen für seine Geschäfte zog, sondern auch die Macht, die damit verknüpft war. Er wusste viel über seine Geschäftspartner und die Menschen um ihn herum, weit mehr, als diese ahnten. Auch ihre Schwachstellen und dunklen Flecken in ihren Biografien kannte er.
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