Die Schwestern von Sherwood: Roman
Lyshire, unterhalten. Sie zuckte die Achseln. Man sah ihr an, dass der Rausch des Erlebten etwas verebbt war, und sie wirkte mit einem Mal angespannt. Amalia ahnte, was in ihr vorging.
Es stimmt nicht, was diese Rebecca Hampton sagt!
Ihre Schwester wandte ihr das Gesicht zu. Zweifel und Ängste spiegelten sich darin. Meinst du?
Amalia nickte.
Cathleen legte den Kopf auf dem Bett ab. Die Bemerkung von Rebecca Hampton spiegelte die geheimsten Befürchtungen ihrer Schwester wider, wusste Amalia. Bei allen Möglichkeiten, die Cathleen draußen in der Welt haben würde, sie hatte ihren eigenen Kampf auszufechten – und sie beneidete sie nicht darum.
Über diese Gedanken hatte Amalia ihre Begegnung mit dem Unbekannten im Moor schließlich völlig vergessen. Auch am nächsten Tag schien ihr nie der richtige Zeitpunkt gekommen, von ihm zu erzählen, und am Ende sah sie ganz davon ab.
45
E lisabeth beobachtete ihre Tochter voller Stolz. Zwei Wochen waren seit dem Ball bei den Lyshires vergangen, und sie waren für einige Tage nach London gefahren. Cathleen zog auch hier überall die Blicke auf sich, und ihr Charme tat sein Übriges, dass sich das Lächeln der Menschen vertiefte, sobald sie mit ihr ins Gespräch kamen. Sie war schön und hatte zum Glück auch als Erwachsene nichts von ihrer Zartheit verloren – ihre Taille, die von dem unten auseinanderfallenden Rock betont wurde, war schmal, die Schultern waren sanft gerundet und ihre Hände schlank, mit Fingern, die so feingliedrig waren, dass sie jeder ihrer Gesten eine besondere Grazie und Eleganz verliehen.
Ja, es war gut, dass sie nach London gefahren waren, dachte Elisabeth erneut. John hatte geschäftlich hier zu tun, und sie wollte, dass bei einem Schneider unweit der Regency Street eine neue Garderobe für Cathleen angefertigt wurde. Mochte Mr Crockford auch eine gute Auswahl an Stoffen haben, Elisabeth hatte eine Adresse in London in Erfahrung gebracht, wo viele Adelige ihre Kleider anfertigen ließen. Genau das Richtige. Cathleen sollte, nein, musste glänzen und unter allen anderen hervorstechen. Kein Aufwand war dafür zu groß. Ein zufriedenes Lächeln umspielte Elisabeths schmale Lippen. Seit dem Ball flatterten die Einladungen nur so ins Haus. Selbst im Herrenclub hatte man John zu seiner bezaubernden Tochter gratuliert.
Cathleen hatte auf dem Ball die schwierigste Hürde genommen. Nun galt es, mit Umsicht die nächsten Schritte vorzubereiten. Elisabeth war geduldig, das hatte sie in langen Jahren gelernt, und erst recht jetzt, da ihr Ziel, auf das sie so lange hingearbeitet hatte, in erreichbare Nähe rückte.
Sie wandte den Kopf zu ihrer Tochter, die eine Auswahl von Stoffen für Abendkleider begutachtete. Liebevoll hakte sie sich bei Cathleen unter.
»Freust du dich?«
Ihre Tochter nickte. Ihre zarten Hände glitten über die Stoffe, die ein Gehilfe des Schneiders vor ihr ausgebreitet hatte. Doch dann wurde sie ernst. »Darf ich dich etwas fragen, Mum?«
»Natürlich, mein Schatz!«
»Warum wolltest du nicht, dass Amalia mit nach London kommt?«
Elisabeth bemühte sich, ihr Lächeln beizubehalten. Es fiel ihr nicht leicht. Die neue Garderobe war nicht der einzige Grund, warum sie sich entschlossen hatte, Cathleen mit nach London zu nehmen. Sie hatte das Gefühl, Zeit mit ihr allein – ohne Amalia – verbringen zu müssen. Schon seit Längerem gefiel es ihr nicht, wie eng das Verhältnis der beiden war.
»Aber du weißt doch, dass es Amalia selbst war, die nicht mitwollte«, erwiderte sie. Das entsprach durchaus den Tatsachen – auch wenn es natürlich nur die halbe Wahrheit war. Die Vorstellung, dass sie sie begleitet hätte, war für Elisabeth undenkbar. Sie versuchte es von jeher zu vermeiden, dass Amalia in der Öffentlichkeit an ihrer Seite in Erscheinung trat und man erfuhr, dass sie taub war.
»Aber es hätte ihr gefallen! Sie wäre begeistert gewesen von den Bildern in der Ausstellung der Royal Academy. Sie hätte das alles hier noch viel mehr zu würdigen gewusst als ich!« Cathleen hatte die Stirn gerunzelt, und die zarte Falte, die sich zwischen ihren Brauen zeigte, erschien Elisabeth mit einem Mal symbolisch für die Bedeutung, die Amalia in ihrem Leben hatte. Sie seufzte.
Als sie wenig später das Geschäft verlassen hatten, wies sie den Kutscher an, noch durch den Hyde Park zu fahren. Sie wollte, dass ihre Tochter diese Welt sah: die eleganten Frauen und Männer, die auf ihren Pferden über die gepflegten Wege
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