Die Schwestern von Sherwood: Roman
Finger geschlungen und sie angeschaut – nachdenklich, ein wenig verwundert und voller Zärtlichkeit. Er war ein erfahrener Liebhaber, doch sie spürte, dass ihn das Ausmaß der Leidenschaft und die Intensität zwischen ihnen genauso überraschte wie sie. Es war ein Gefühl, als würden sie gleichzeitig brennen und miteinander verschmelzen. Selbst der kurze Schmerz, den Amalia beim ersten Mal verspürt hatte, war in den Wogen der Lust untergegangen. Bei den darauffolgenden Treffen hatten sie sich stets aufs Neue wie in einem Rausch geliebt. Als wäre ein Damm gebrochen und in jedem leidenschaftlichen Kuss und jeder Berührung würde sich all die Spannung und Emotionen entladen, die sich seit der ersten Begegnung zwischen ihnen aufgebaut hatten. Die Bereitschaft, mit der sie willens war, sich ihm hinzugeben, erschreckte Amalia. Doch sie konnte nichts Falsches dabei empfinden, obschon selbst Cathleen schockiert gewesen wäre, wenn sie davon gewusst hätte. Die Reaktion ihrer Eltern oder Miss Carringtons wagte sich Amalia erst gar nicht vorzustellen.
Niemals zuvor hatte sie sich so gefühlt – so berauscht und glücklich und in manchen Momenten auch wieder so niedergeschlagen und verzweifelt. Sie liebte ihn. Schon lange war ihr das klar – im Grunde seitdem sie ihm das erste Mal begegnet war. Seitdem sie gesehen hatte, wie er rastlos durch das Moor ritt, und sie seine Einsamkeit spürte, die der ihren, durch die Welten hindurch, die sie trennten, so nah war.
Warum willst du mir deinen Namen nicht sagen? , fragte er jetzt erneut.
Sie zögerte und bewegte die Hände. Sage mir, ob es etwas ändern würde, wenn du ihn wüsstest!
Seine Augen verdunkelten sich. Ich suche nach einer Möglichkeit, nach einem Weg … Sein Blick verlor sich für einen Moment in dem knisternden Feuer des Kamins und bekam etwas fast Resigniertes. Dann wandte er sich wieder zu ihr. Wünschst du dir nicht auch, dass es mehr als nur das sein könnte? Mehr als ein heimliches Verhältnis in einem abgelegenen Cottage …
Amalia hielt seine Hände fest und hinderte ihn daran, die Finger weitersprechen zu lassen. Nicht!
Ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Sie dachte an die Briefe, die er ihr geschrieben hatte. An dem Tag, als sie sich das erste Mal geliebt hatten, war sie nach Hause gekommen und hatte sie später alle gelesen. Versteckt in einem Winkel des Herrenhauses von Sherwood, in dem niemand sie stören konnte, hatte sie seine Zeilen in den Händen gehalten – und leise geweint, denn seine Briefe verrieten, wie tief seine Gefühle waren, wie viel Platz sie schon lange in seinen Gedanken einnahm. Sie begriff, warum sie von Beginn an den Eindruck gehabt hatte, es gebe eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen – selbst als sie sich nur von Weitem im Moor gesehen hatten. Sie lächelte beim Lesen, als sie erfuhr, wie er sie beim ersten Mal in Whistman’s Wood hinter dem Felsen beobachtet hatte. Sehr wohl entsann sie sich, dass sie damals die Gegenwart eines Menschen gespürt hatte. Ihr Herz klopfte vor Freude schneller, als sie las, wie ungewöhnlich und schön er sie fand, wie die Stunden mit ihr Licht in sein Leben gebracht hatten und er die Zeit mit ihr, genau wie sie, jeden Tag aufs Neue herbeisehnte. Doch in seinen Zeilen erwähnte er auch immer wieder, dass er nicht frei war, dass seine Geburt ihn zu einem Leben bestimmt hatte, dem er nicht entfliehen könne, sosehr er es sich auch wünschte. Sie verstand, was er meinte. Er würde heiraten. Das hatte er selbst gesagt. Die Tränen waren ihr bei dieser Vorstellung über die Wangen gelaufen, und sie hatte zum ersten Mal mit ihrem Schicksal gehadert und tiefe Verzweiflung empfunden. Lange hatte sie dort oben allein in der Dachkammer gesessen. Es konnte keine Zukunft für sie beide geben. Das wusste sie. All das ging ihr durch den Kopf, während sie seinen Blick jetzt noch immer auf sich spürte. Sanft küsste sie ihn und bewegte die Hände. Ich liebe dich!
69
C athleen war nervös. Ihre Gesten waren hektisch geworden, als sie ihrer Schwester von der Neuigkeit berichtete, die ihrer aller Leben verändern würde. Doch sie hatte sich die Reaktion von Amalia auf ihre baldige Verlobung gänzlich anders ausgemalt. Mit allem hatte sie gerechnet – dass Amalia betroffen dreinschauen würde, weil sich damit zwangsläufig auch ihre Beziehung als Schwestern verändern würde, oder auch, dass sie ihr vor Freude um den Hals fallen würde. Aber ganz sicher nicht damit! Es war kaum mehr
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