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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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nackten Körper waren Ogham-Symbole gemalt: auf die Arme die sieben Bäume der Herren, auf die Beine die sieben Bäume der Bauern, auf den Unterleib die sieben Sträucher und auf den Rücken die acht Dornenbüsche.
    Auf der Brust einer jeden prangte dagegen das Bild eines jeweils anderen Tieres: eines Hasen, einer Forelle, einer Krähe.
    Die Frau mit der Krähe, im Osten, unterbrach als Erste die Stille:
    Â»Sieh,
    Ceridwen ist erzürnt:
    Gwion Bach,
    kleiner Weiser,
    hat ihr das Geheimnis der Zeit entrissen,
    indem er aus dem
    ihm anvertrauten Kessel trank
    und sie hintergangen hat.
    Nun sucht ihn die weiße Ceridwen im Inneren der Erde,
    um seine Eingeweide und sein Herz zu verschlingen,
    aber Gwion Bach hat sich in einen Hasen verwandelt,
    um ihr zu entkommen.«
    Die Frau im Süden, die ein purpurrotes Band und das Bild des Hasen auf der Brust trug, stieß einen prosodischen Schrei aus, mit dem sie Angst spielte. Die Frauen verspürten eine Art Schlag, und die Bäume, die auf ihre Körper gemalt waren, fingen an zu zittern.
    Die Krähe begann erneut zu sprechen:
    Â»Jetzt sucht Ceridwen ihn im Fluss,
    aber Gwion Bach hat sich in eine Forelle verwandelt,
    um ihr zu entkommen.«
    Die Frau im Westen, mit einem weißen Band und der Forelle auf der Brust, fuhr zusammen und wand sich verängstigt. Ihr Schrei schien, als würde sie sich erneut in Einklang bringen.
    Die Krähe fuhr fort:
    Â»Am Ende sucht Ceridwen ihn im Himmel,
    aber Gwion Bach hat sich in eine Krähe verwandelt,
    um ihr zu entkommen.«
    Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, stieß sie einen rauen Schrei aus.
    Schweigen senkte sich über alles.
    Dann stiegen die drei Frauen auf die Steinplatte und umringten den Kessel. Sie streckten den linken Arm aus, und jede ergriff einen Zipfel des Lammfells.
    Es verging ein kurzer Moment, der wie eine Ewigkeit schien, bevor die Krähe die letzte Anrufung sprach:
    Â»Oh
    Gwion Bach,
    ruchloser Wächter,
    bist du vielleicht
    im Leib deiner Schuld verborgen?«
    Kaum waren die letzten Worte unter dem feuchten Gewölbe verklungen, hoben die drei Zelebrantinnen gleichzeitig das Fell von dem Kessel.
    Er war leer: Am Boden, dort wo die Hitze am größten war, hatte sich lediglich eine feste, weißliche Kruste, wie jahrhundertealte Salpeter-Ablagerungen, gebildet.
    Iv seufzte: »Solange wir das Buch der Blätter nicht gefunden haben, wird all das ein inhaltsloses Spiel bleiben.«
    Aber Yana und Florette schienen ihr gar nicht zuzuhören. Die beiden begannen, das Lied anzustimmen:
    Â»â€¦ Ich bin die grünste aller Pflanzen.
    Ich bin der wilde Eber.
    Ich bin ein Lachs im Fluss.
    Ich bin ein See in der Ebene.
    Ich bin das Wort der Weisheit …«

54
    Lambay Island
Montag, 3. Januar, 7.20 Uhr
    Lena war sehr zeitig erwacht und in ihrer Enttäuschung hinauf zu den Klippen gestiegen, um nachzudenken. Dort oben schlug einem der Wind ins Gesicht, aber der Anblick des Sonnenaufgangs war atemberaubend. Das Meer war noch nachtschwarz, während die Wolken am Himmel die ersten Sonnenstrahlen verschleierten. Einige Möwen schwebten reglos über ihr in der Luft.
    Das Handy klingelte, und auf dem Display erschien der Name Borimir.
    Â»Was gibt’s, Borimir?«, fragte sie sanft.
    Â»Madame …«, der Tonfall ließ nichts Gutes ahnen. »Ich kann nicht mehr so weitermachen.«
    Lena sah aufs Meer hinaus und verfluchte die Schwäche ihres Komplizen. »Sprich dich aus. Dafür bin ich da. Wir werden alles lösen«, versicherte sie.
    Â»Gestern … gestern hätte ich dem Fräulein beinahe alles gestanden.«
    Lena sammelte ihre Wut, ballte sie zu einem Knäuel zusammen und schob sie in eine dunkle Ecke ihres Bewusstseins, so wie sie es von Yana gelernt und niemals vergessen hatte. Sie konnte sich diesen Idioten jederzeit vom Hals schaffen und Kirill überlassen. Da Gavril noch lebte, war es nur eine Frage der Zeit. Aber solange man sie noch nicht entdeckt hatte, kam es ihr ganz gelegen, Augen und Ohren in der Villa Derzhavin zu haben. Deshalb stieß sie einen Seufzer aus und ließ sich nichts anmerken.
    Â»Borimir, du musst Ruhe bewahren. Ich bin für dich da, vergiss das nicht.«
    Â»Aber wenn ich nicht einmal weiß, wo Sie sind?«, jammerte der Mann.
    Â»Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich dich schützen will. Wenn alles so läuft wie geplant, wirst du der Erste sein, der seinen Nutzen daraus

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