Die Seele des Feuers - 10
gewesen sein«, meinte Kahlan. »Es ist die einzige größere Stadt in der Wildnis auf deiner Route hierher. Sie hat Mauern, wie du sie beschreibst.«
Du Chaillu nickte. »Renwold. Wir kannten ihren Namen nicht.« Ihr stechender Blick, gleich dem einer Königin, die ernste Neuigkeiten mitzuteilen hat, wanderte von Kahlan zu Richard. »Sie war von der Armee dieses Mannes, Jagang, heimgesucht worden.«
Du Chaillu blickte in die Ferne, als hätte sie sie wieder vor Augen. »Ich hätte nicht gedacht, daß Menschen so grausam zueinander sein können. Die Majendie, so sehr wir sie auch haßten, würden niemals tun, was diese Männer den Menschen dort angetan hatten.«
Du Chaillu kamen die Tränen, die schließlich überflossen und ihr über die Wangen rollten. »Sie haben die Menschen dort abgeschlachtet. Die Alten, die Jungen und die kleinen Kinder. Aber erst, nachdem sie tagelang…«
Du Chaillu brach in Schluchzen aus. Kahlan legte der Frau verständnisvoll einen Arm um die Schultern. In Kahlans Umarmung wirkte Du Chaillu plötzlich wie ein kleines Kind. Ein kleines Kind, das zuviel erlebt hatte.
»Ich weiß«, versuchte Kahlan sie zu trösten. »Ich weiß. Ich bin auch in einer großen, ummauerten Stadt gewesen, in der die Männer aus Jagangs Troß gewütet hatten, und ich weiß, was du gesehen hast. Ich bin zwischen den Toten innerhalb der Mauern von Ebinissia umhergelaufen. Ich habe das Gemetzel gesehen, das durch die Hand der Imperialen Ordnung angerichtet wurde. Ich habe gesehen, was diese Bestien zuvor mit den Lebenden gemacht hatten.«
Du Chaillu, die ihr Volk mit Tatkraft und Entschlossenheit führte, die mutig und voller Verachtung monatelang ihrer Gefangenschaft und der Aussicht auf ihre bevorstehende Opferung die Stirn geboten hatte, die mitangesehen hatte, wie ihre Ehemänner fielen, um einem Gesetz Genüge zu tun, dessen Hüterin sie war, die bereitwillig dem Tod ins Auge gesehen hatte, um Richard bei der Zerstörung der Türme der Verdammnis zu helfen, weil sie hoffte, ihr Volk könnte in sein Land zurückkehren, vergrub ihr Gesicht an Kahlans Schulter und weinte wie ein Kind, als sie die Bilder aus Renwold wieder vor sich sah.
Die Meister der Klinge wandten den Blick ab; sie wollten ihre Seelenfrau nicht so zutiefst betroffen sehen. Chandalen und seine Jäger, die nicht weit entfernt darauf warteten, daß die anderen ihre Beratung beendeten, wandten sich gleichermaßen ab.
Richard hätte nicht gedacht, daß irgend etwas Du Chaillu dazu bringen könnte, vor anderen Tränen zu vergießen.
»Dort war ein Mann«, erzählte Du Chaillu, unterbrochen von Schluchzen. »Der einzige Überlebende, den wir finden konnten.«
»Wie hat er überlebt?« Richard kam das ziemlich an den Haaren herbeigezogen vor. »Hat er das gesagt?«
»Er hatte den Verstand verloren. Jammernd flehte er die Gütigen Seelen um seine Frau und seine Kinder an. Unablässig weinte er wegen seiner Torheit, wie er es nannte, und bat die Seelen, ihm zu vergeben und ihm seine Lieben zurückzugeben. Er hielt den zerschmetterten Kopf eines Kindes in den Händen. Auf ihn redete er ein, als wäre er lebendig, und bat ihn um Vergebung.«
Kahlans Gesicht nahm einen traurigen Zug an. Langsam, mit offenkundigem Widerwillen, fragte sie: »Hatte er langes, weißes Haar? Eine rote Jacke, mit goldenen Litzen auf den Schultern?«
»Du kennst ihn?« fragte Du Chaillu.
»Botschafter Seidon. Er hat den Angriff nicht überlebt – er war zu diesem Zeitpunkt gar nicht in der Stadt, sondern in Aydindril.«
Kahlan sah hoch zu Richard. »Ich bat ihn, sich uns anzuschließen. Er weigerte sich mit der Begründung, er sei derselben Überzeugung wie der Rat der Sieben, daß sein Land Mardovia verwundbar wäre, sobald es sich auf die eine oder andere Seite schlüge. Er lehnte es ab, sich uns oder der Imperialen Ordnung anzuschließen, und meinte, Neutralität biete ihnen Sicherheit.«
»Was hast du ihm geantwortet?« wollte Richard wissen.
»Genau deine Worte – dein Erlaß, demzufolge es in diesem Krieg keine Unbeteiligten geben werde. Ich erklärte ihm, als Mutter Konfessor hätte ich verfügt, gegenüber der Imperialen Ordnung kein Erbarmen walten zu lassen. Ich erklärte Botschafter Seidon, wir – du und ich – seien in diesem Punkt einer Meinung, daß sein Land nur für uns oder gegen uns sein könne und die Imperiale Ordnung dies ebenso sehe.
Ich versuchte ihm die Folgen klarzumachen. Er wollte nichts davon hören. Ich bat ihn, das Leben seiner
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