Die Seele des Feuers - 10
geht auf den religiösen Glauben der Anderier zurück. Die Direktoren des Büros für Kulturelle Zusammenarbeit entscheiden darüber, wer auf Lebenszeit zum Herrscher ernannt wird. Angeblich sind die Direktoren eine moralische Instanz, die den zum Herrscher Ernannten überwacht – in etwa vergleichbar mit dem Obersten Zauberer, der die Aufgabe hat, den Richtigen zum Sucher zu ernennen.
Das anderische Volk glaubt, wenn der zum Herrscher Ernannte erst von den Direktoren gesalbt ist, überschreitet er die Grenzen fleischlichen Seins und tritt mit dem Schöpfer selbst in Verbindung. Manch einer ist der tiefen Überzeugung, er sei die Stimme des Schöpfers in dieser Welt. Einige betrachten ihn mit derselben Ehrerbietung, die eigentlich dem Schöpfer vorbehalten sein sollte.«
»Dann ist er es also, den wir überzeugen müssen, sich uns anzuschließen?«
»Teils, teils. Genaugenommen führt der Herrscher jedoch gar nicht die Alltagsgeschäfte der Regierung. Er ist mehr eine Art Symbolfigur, die vom Volk für das geliebt wird, was sie repräsentiert. Heutzutage stellen die Anderier weniger als vielleicht zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung, trotzdem hat sich an der Einstellung der Hakenier für ihren Herrscher nichts geändert: Er besitzt die Macht, der übrigen Regierung einen bestimmten Kurs zu verordnen, häufiger jedoch stimmt er einfach dem von ihr beschlossenen zu. Die Verwaltung Anderiths obliegt größtenteils dem Minister für Kultur. Der Minister legt fest, was im Land geschehen soll. Das wäre in unserem Fall ein Mann namens Bertrand Chanboor.
Das Büro des Ministers für Kultur unmittelbar vor den Toren Fairfields bildet das Regierungsgremium, das letztlich die Entscheidungen trifft. Die Abgesandten, die ich in Aydindril angetroffen habe, werden unsere Worte an Bertrand Chanboor weiterleiten.
Unabhängig von seiner dunklen Vergangenheit, stellt Anderith heute unbestritten eine Macht dar, mit der man rechnen muß. Die alten Anderier mögen ein primitives Volk gewesen sein, doch diese Zeiten sind vorbei. Es sind wohlhabende Kaufleute, die über weitreichende Handelsbeziehungen und unermeßliche Reichtümer verfügen. Mit ebensolchem Geschick regieren sie, sie haben ihre Macht und das Land sicher im Griff.«
Richard ließ den Blick suchend über das Grasland schweifen. Seit die Chimäre aufgetaucht war, um Du Chaillu zu töten, und er zum ersten Mal gespürt hatte, wie sich ihm die Haare im Nacken sträubten, achtete er auf das Gefühl in der Hoffnung, es beim nächsten Mal eher zu erkennen und alle rechtzeitig warnen zu können.
Er blickte hinüber zu Cara, die Du Chaillu mit Hafergrütze fütterte. Sie mußte zurück zu ihrem Volk, statt ihr ungeborenes Kind kreuz und quer durch die Lande zu tragen.
»Außerdem sind die Anderier keine satten, verweichlichten, trägen Kaufleute«, fuhr Kahlan fort. »Bis auf die Armee, in der nach außen hin so etwas wie Gleichberechtigung herrscht, dürfen ausschließlich Anderier Waffen tragen, und gewöhnlich können sie gut damit umgehen. Die Anderier sind, was immer du über sie denken magst, keine Narren und lassen sich auch nicht leicht von etwas überzeugen.«
Richard, in Gedanken bereits Pläne schmiedend, ließ den Blick abermals über das Grasland wandern.
»Jagang hat sowohl in Ebinissia als auch Renwold bewiesen«, meinte er, »was er Völkern antut, die sich weigern, sich ihm anzuschließen. Wenn Anderith sich nicht uns anschließt, wird es abermals Opfer einer Invasion durch Fremde werden. Nur wird den Invasoren diesmal jedes Gespür für Gerechtigkeit abgehen.«
35. Kapitel
Richard stand da, den Blick in die Ferne, nach Aydindril gerichtet, und ließ sich all das durch den Kopf gehen, was Kahlan ihm erklärt und die Chimären ihm auf die ihnen eigene brutale Art zu Verstehen gegeben hatten. Daß er etwas über die Geschichte Anderiths erfahren hatte, bestärkte ihn nur noch in seinem Entschluß.
»Ich wußte, daß wir in der falschen Richtung unterwegs waren«, meinte er schließlich.
Kahlan blickte mit finsterer Miene über die Ebene Richtung Nordosten, wohin auch er schaute. »Wie meinst du das?«
»Zedd meinte immer zu mir, wenn die Straße bequem ist, neigt man dazu, den falschen Weg einzuschlagen.«
»Das haben wir doch schon alles besprochen, Richard«, erwiderte Kahlan im Tonfall abgespannter Beharrlichkeit, während sie sich das Haar aus dem Gesicht strich. »Wir müssen nach Aydindril. Das mußt du doch einsehen, jetzt mehr als je
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