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Die Seele des Ozeans (German Edition)

Die Seele des Ozeans (German Edition)

Titel: Die Seele des Ozeans (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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sanfte Art von Licht.
    Kjell sah sich überwältigt um.
    Wie gut, dass er nicht schwitzte. Seine Haut war trotz des Regens und trotz der Küsse noch genauso matt und makellos wie heute Morgen, als Henry ihn aus seiner Behandlung entlassen hatte.
    „Was immer du sehen willst“, Fae hakte sich bei ihm ein, „wir sollten besser gleich dorthin gehen. Das Museum schließt in einer Stunde.“
    „So früh schon?“ Selbst seine Enttäuschung besaß etwas rührend Kindliches. „Warum?“
    „Weil es schon spät ist. Siehst du?“ Sie deutete auf den goldenen Schein hinter den Fenstern. „Die Sonne geht unter. Irgendwo zwischen Parkplatz und Museum haben wir wohl die Zeit vergessen.“
    Er lächelte, verarbeitete seine Enttäuschung mit einem Schulterzucken und zog Fae hinter sich her.
    „Du weißt, wo es langgeht?“
    „Ich habe ein Buch über das Museum gelesen.“
    „Natürlich. Was auch sonst.“
    Im Eiltempo hetzten sie durch lichtgetränkte Gänge und Räume, vorbei an Statuen, Gemälden und sonstigen Ausstellungsstücken, die Fae höchstens mit kurzen Blicken streifen konnte.
    Sie lachte so sehr, dass ihre Seiten schmerzten. Wie ungezogene Kinder stürmten sie durch das altehrwürdige Gebäude, ihre Stiefel klackerten auf dem Boden ein wildes Stakkato, Besucher wichen mit empörtem Gemurmel aus. In einem Raum, der voller alter Ölgemälde hing, endete schließlich ihr wilder Lauf. Fae krümmte sich kichernd zusammen. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu Atem kam, während Kjell vollkommen ruhig neben ihr stand und ihre Hand ein wenig fester drückte. Sie spürte die Starre seines Körpers, ehe sie sie sah.
    Nach Luft ringend blickte Fae auf das Bild, das ihn so sehr gefangen nahm. Es nahm fast ein Viertel der Wand ein. Das Chromoxidgrün, von dem es dominiert wurde, schien in einem eisigen Feuer zu brennen. Sie hörte das Toben der stürmischen See und das Ächzen des kenternden Dreimasters, dessen Segel in Fetzen herabhingen. Sie spürte die salzige Gischt, die der Wind von den zerfetzten Wellenkämmen riss, und den Frost, der die Taue des Schiffes und die Felsen mit kaltem Glitzer überzog. Sie schmeckte das wütende Meer und den faulig-würzigen Geruch des Tangs, der auf der Felsinsel verrottete.
    Kjell löste sich von ihr und trat an das Bild heran. Langsam, als lähme ihn die Ehrfurcht, griff er nach vorne und strich mit der Spitze seines Zeigefingers über den gemalten Körper der Meerjungfrau.
    Hell und leuchtend saß sie auf einem Felsen inmitten der entfesselten Elemente, umringt von Möwen, die dem Sturm trotzten. Ihr liebliches Gesicht blickte dem sinkenden Schiff entgegen. Silbern war ihr Haar, groß und fächerförmig ihre Schwanzflosse, weiß geschuppt der geschmeidige Fischkörper.
    Und vor dem Felsen, auf dem sie saß, durchbrach ein Narwal mit schneeweißer Haut die chromoxidgrünen Wellen. Sein Horn leuchtete in der kochenden Finsternis des Unwetters. So strahlend und rein wie die Meerjungfrau selbst.
    Kjell starrte wortlos auf das Gemälde, die Stirn nachdenklich gerunzelt, den Blick im kochenden Meer und im Sturm verloren. Er nahm nicht wahr, dass die Menschen im Raum ihn ansahen. Sie wussten, dass er nicht zu ihnen gehörte. Sie wussten, dass er ein Fremder war, ein Eindringling in ihrer irdischen Welt.
    So wie die Meerjungfrau auf dem Felsen.
    Auf dem Schild neben dem Gemälde stand geschrieben:
    Ohne Titel, Hendrick van Anthonissen, Amsterdam, um 1642, exklusive Leihgabe von Ms. Theodora Emma Wilkens.
    „Noch nie von ihm gehört.“ Fae trat neben Kjell und schlang einen Arm um seine Taille. Er war nicht länger warm, sondern starr und kalt. Es fühlte sich an, als stecke unter dem Anzug eine der im Museum ausgestellten Marmorstatuen. „Geht es dir gut?“
    Er neigte langsam den Kopf. Farbloses Licht fing sich in seinen Augen wie in einem geschliffenen Diamanten. Die Iris breitete sich aus und verschluckte das Weiß des Augapfels, die Pupille verformte sich zu schmalen, senkrecht stehenden Schlitzen.
    „Kjell! Du veränderst dich!“
    Er sah sie einen Moment lang an, als begreife er nicht, was sie meinte. Dann schloss er die Augen, atmete einige Male konzentriert ein und öffnete sie wieder.
    Menschliche Iriden, menschliche Pupillen.
    Nur das verräterische Schillern blieb zurück. Dieses Wesen gehörte nicht hierher. Es musste zurück in die dunklen Abgründe.
    Wie naiv bin ich eigentlich? Ich bin nicht stärker als das Meer.
    „Glaubst du, es zeigt die Wirklichkeit?“ Sein

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