Die Seelenburg
BMW der 700er Klasse abstellte. Sie entdeckte auch den blauen 450er. Er stand etwas abseits.
Die Detektivin stieg aus und schritt auf das große Tor zu. Die Burg hatte keinen Vorhof und auch keine Türme. Sie bestand zwar aus mehreren Trakten, doch die sahen so aus oder gingen so ineinander über, daß sie wie aus einem Teil gegossen wirkten.
Oberhalb der Burg spielte der Wind mit den Zweigen der Nadelbäume, die am Fels ein karges Dasein fristeten.
Zahlreiche Fenster unterbrachen das Mauerwerk. Jane glaubte, hinter einigen Scheiben Licht zu sehen, konnte sich auch irren, denn die Scheiben schienen ihr ziemlich dick zu sein. Ein wenig Herzklopfen hatte sie schon, als sie auf die Treppe zuschritt, die zum großen Eingangsportal hochführte. Sie mußte wieder an den Brief der Toten denken und daran, daß zahlreiche Wagen vor der Tür parkten. Der Burgherr hatte also Besuch. Feierte er vielleicht eine schwarze Messe?
Oder wollte er sie noch feiern?
Jane holte tief Luft. Ich hätte doch John noch anrufen sollen, dachte sie und klammerte die Hand unter den Boden der Tasche, wo sie das Gewicht der Astra durch das Leder fühlte. Die Waffe war mit geweihten Kugeln geladen.
Um ihren Hals hatte sich Jane ein kleines, geweihtes Kreuz gehängt. Bis auf Suko waren alle Mitglieder des Sinclair-Teams mit geweihten Kreuzen ausgerüstet. Pater Ignatius, der auch die Silberkugeln drehte, hatte sie in dem Kloster in Schottland hergestellt.
Eine Klingel fand Jane nicht, dafür aber einen stilechten Klopfer. Sie hämmerte gegen das Holz der Tür und hörte die Schläge im Innern des Schlosses widerhallen.
Rasch wurde geöffnet.
Ein Diener schaute Jane an. Er hatte ein Halbglatze, dafür jedoch Koteletten, die fast bis zu den Mundwinkeln reichten. Das verbliebene Haar zeigte eine pechschwarze Farbe. Auf den Wangen schimmerten bläuliche Bartschatten. Der Butler trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine gestreifte Weste.
»Sie wünschen?« fragte er.
»Ich hätte gern Gordon Schreiber gesprochen.«
»Sind Sie angemeldet?« Der Satz klang einstudiert. Er wurde runtergeleiert.
»Nein.«
»Dann kann ich leider nichts für Sie tun, Gnädigste.« Der Mann wollte die Tür zudrücken.
Doch da war Janes Fuß, den sie in den Spalt geschoben hatte, und mit honigsüßer Stimme sagte sie: »Ich bin übrigens eine Bekannte von Celine Wald. Sagen Sie das Ihrem Brötchengeber.«
Der Diener überlegte einen Moment, dann nickte er. »Es ist gut, warten Sie in der Halle.«
Jane durfte eintreten. Draußen war es schon seltsam ruhig gewesen, doch im Innern der Burg konnte man die Stille als nahezu unheimlich bezeichnen. Als die Schritte des Dieners verklungen waren, hörte man keinen Laut mehr.
Jane fröstelte. Bereits nach dem ersten Eindruck mochte sie diese Burg nicht. Nein, die lebte nicht, die war irgendwie anders als normale Schlösser oder Burgen. An den Wänden der Halle hingen düstere Gemälde. Jane stand auf einem Steinboden, wo kein Stäubchen lag. Die schweren Sitzmöbel waren aus Eiche, und Jane erkannte, daß es keine echten Antiquitäten waren, sondern nachgeahmte. Schreiber hatte sie herstellen lassen.
Der Diener kam zurück. Jane hörte nur das Tappen der Schritte, dann tauchte der Mann aus dem Dämmer auf.
»Herr Schreiber läßt bitten«, sagte er. »Bitte folgen Sie mir, Gnädigste.«
Der geht mir auf den Geist mit seinem Gnädigste, dachte Jane, sagte aber nichts, sondern lächelte weiter. Der Butler räusperte sich und schritt voraus.
Sie mußten eine Treppe hoch, gelangten in einen breiten Gang und blieben vor einer zweiflügeligen Tür stehen, an die der komische Diener zweimal klopfte.
»Ja, bitte?«
Der Diener öffnete die Tür. »Die Dame ist da, die Sie sprechen wollte, Herr Schreiber.«
»Führen Sie sie herein.«
»Bitte sehr.«
Jane konnte das Zimmer betreten. Es hatte gewaltige Ausmaße. Hinter einem Schreibtisch erhob sich ein breitschultriger Mann. Jane Collins hatte ihn bereits auf dem Friedhof kennengelernt…
***
Lautlos schloß der Diener die Tür, und Jane ging noch ein paar Schritte vor.
Das also war Gordon Schreiber. Vorhin hatte er einen Mantel angehabt, nun trug er einen dunkelblauen Anzug, ein ebenfalls blaues Hemd und eine Krawatte in der gleichen Farbe. Er musterte Jane kühl mit seinen jettschwarzen Augen.
Die Detektivin konnte sich nicht helfen. Sie fühlte sich unter dem Blick unwohl. Es bereitete ihr Mühe, ihm standzuhalten.
»Haben Sie genug gesehen?« fragte sie
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