Die Seelenburg
Bekannte davon abhalten, sich die Burg anzusehen, aber sie ließ sich nicht überzeugen. Diese hübsche Frau hat einen Dickkopf.«
Da sagte mir Carlo Lei nichts Neues. Von Janes Dickkopf konnte ich ein Lied singen. Wenn sie sich einmal etwas vorgenommen hatte, führte sie es auch durch. Und manchmal bis zum bitteren Ende.
»Wie lange ist es eigentlich her, daß sie zur Burg ging?« erkundigte ich mich.
»Da muß ich mal nachdenken«, murmelte der Schweizer und wandte sich dann an den Bäcker. »He, Sir Archibald, wann hat die hübsche blonde Engländerin uns verlassen?«
Sir Archibald Rihm kam hinter seiner Verkaufstheke hervor. »Vielleicht vor zwei Stunden, oder?«
Carlo Lei nickte. »Stimmt, so lange muß es ungefähr her sein.«
»Und sie ist nicht wieder zurückgekehrt?«
»Nein.«
»Hat sie auch keine Zeit gesagt, wann sie wieder hier im Ort erscheinen wollte?«
»Auch das nicht. Soviel ich weiß, wollte sie nur den Nachlaß regeln, das ist alles.«
Ich bestellte noch einen Kaffee. »Sie kennen nicht zufällig diesen Schreiber?«
»Kaum. Gesehen habe ich ihn zwar, aber gesprochen noch nie mit ihm. Der ist so reich und exzentrisch, der kümmert sich um unsereins gar nicht. Und dann die Besucher der Burg. Das sind auch so ausgefallene Typen.« Er grinste. »Ich möchte nicht wissen, was die da oben treiben. Das muß dort unheimlich zugehen. Ich habe gehört, daß die feinen Herrschaften nackt durch die Burg laufen und dabei schaurige Gesänge anstimmen. Vielleicht läuft auch ein Tonband.«
»Woher wissen Sie das alles?« fragte ich.
»Von einer Frau, die dort kocht.«
»Ist das eine Bekannte?«
»Sogar verwandt. Um drei Ecken herum. Die kauft auch manchmal bei mir ein, und dabei sind wir dann ins Plaudern gekommen. Wenn das alles stimmt, was sie sagt…«
»Was sagt sie denn noch so?« hakte ich nach.
»Ich erzählte Ihnen ja von den komischen Gesängen, und dann wird geschrien, da ertönt ein Heulen und ein Kreischen. Es muß so schaurig sein, als wäre die Burg ein Festplatz des Teufels.«
Der Ausdruck war gut gewählt. Festplatz des Teufels. Irgendwie hatte Carlo Lei da ins Schwarze getroffen. Er hätte nur für das Wort Teufel den Begriff Spuk einsetzen sollen.
»Wie kann ich denn unbeobachtet in die Burg hineinkommen?« stellte ich die wichtigste Frage.
Carlo schaute mich an, als hätte ich soeben von einer Landung auf dem Mars berichtet. »Sie—Sie wollen in die Burg?« wiederholte er flüsternd, und auch Sir Archibald Rihm staunte.
Ich nickte. »Ja, ich will dieser Burg einen Besuch abstatten. Deshalb sind mein Freund und ich ja hier.«
»Der Chinese auch?«
»Genau.«
»Das wird nicht gehen, die lassen keinen rein. Da sind sie stur. Wer nicht zu ihnen gehört, wird abgewiesen. Und wenn er nicht freiwillig verschwindet, dann brauchen sie Gewalt.«
»Aber ich muß hinein.«
»Sie wollen Miss Collins retten, nicht?«
»Auch das.«
»Ich verstehe schon«, murmelte Carlo Lei. »Ich verstehe sehr gut sogar.«
»Vielleicht könnten Sie der Köchin einen kleinen Tip geben«, half ich auf die Sprünge.
»Daran habe ich auch gedacht. Und Sie haben ein unverschämtes Glück, Herr Sinclair. Wissen Sie das?«
»Wieso?«
»Die Köchin habe ich vorhin gesehen, als sie hier am Laden vorbeimarschierte. Dann muß sie noch etwas holen und wird bald auf die Burg fahren, um…«
»Suchen wir sie doch.« Zum erstenmal mischte sich Suko in das Gespräch.
Carlo Lei winkte ab. »Das wird nicht nötig sein. Sie kommt meist auf eine Tasse Kaffee hier vorbei. Wir brauchen nur sitzen zu bleiben und zu warten.«
Als hätte Carlo Lei ein Stichwort gegeben, so öffnete sich die Tür und eine Frau erschien.
»Das ist sie!« zischte Carlo.
»Grüezi miteinand«, sagte die Frau und lächelte.
Auf mich machte sie sofort einen sympathischen Eindruck. Sie schien ein liebes Wesen zu haben, das erkannte ich an den Augen, die irgendwie freundlich und verständnisvoll blickten. Carlo Lei schnappte sie sich sofort, und wir erfuhren auch ihren Namen.
Sie hieß Marga Frambon.
Als sie hörte, daß wir aus England kamen und auf die Burg wollten, wurden ihre Augen groß. Sie schlug hastig ein Kreuzzeichen und flüsterte: »Es ist verboten, Fremde auf die Burg zu nehmen«, sagte sie und nickte heftig, wobei ihr Busen wogte.
»Aber wir sind von der Polizei«, sagte ich.
»Trotzdem. Ich werde entlassen, wenn…«
»Liebe Frau Frambon«, sagte ich, »entlassen werden Sie so oder so. Auf dieser Burg findet ein
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