Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
ich
geahnt hätte, was für ein schnuckeliges Nest sie sich hier gebaut hat, hätte
ich schon früher bei ihr vorbeigeschaut."
"Tja,
ich fürchte, nach der Sauerei, die wir ihr im Wohnzimmer hinterlassen, wird sie
dich wohl kaum nochmals einladen", erwiderte Lukas ungewohnt trocken,
während er seinen verletzten Kopf mit einem Seufzer des Wohlbehagens auf das
weiche Daunenkissen fallen ließ.
"Thieh
mal einer an, da ift ja jemand komif", erwiderte Rabea undeutlich, da sie
gerade ihren Haargummi im Mund hatte und versuchte, mit beiden Händen ihre schweren,
zerzausten Locken in einen Zopf zurück zu bändigen. Sie ließ Lukas für einen
Moment allein, um ins Badezimmer zu gehen und ihr Werk vor dem Spiegel zu
vollenden. Danach erfrischte sie ihr erhitztes Gesicht mit kaltem Wasser und
warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Zum ersten Mal seit Monaten missfiel
ihr das Bild nicht, das ihr der Spiegel zurückwarf. Sie fühlte sich trotz des
überstandenen Schreckens großartig. Ihre grünen Augen leuchteten und sie war
von pulsierender Energie erfüllt, die ihre Wangen mit einer sanften Röte
überzog. Vergessen, die monatelange resignierte Blässe, die ihre Gesichtszüge
geprägt hatte. Sie lebte wieder! Dies hatte sie allein Lukas zu verdanken. Die
Nähe zu ihm und seine nie versiegende Zuversicht, die er aus seinem
unerschütterlichen Glauben an das Gute schöpfte, hatten genügt, um ihr den
verloren geglaubten Lebensmut zurückzugeben. Auch wenn sie und Lukas keine
gemeinsame Zukunft haben würden, hatte dieses Abenteuer ihr doch gezeigt, dass
Lukas immer noch ihr Freund war. Der neu gewonnene Optimismus, der sie
durchflutete, zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht und ließ es von innen
leuchten. Rasch griff sie nach einer Schale mit einem Duftpotpourri und kippte
dieses achtlos in den Abfallkorb. Sie füllte die leere Schale mit heißem Wasser
auf, griff sich einen Waschlappen plus Handtuch und den Verbandskasten und
kehrte zu Lukas ins Schlafzimmer zurück. Er lag ausgestreckt auf dem Bett und
hatte die Augen geschlossen, richtete sie sich aber bei ihrem Eintreten sofort
in eine sitzende Stellung auf. Rabea stellte die Schüssel mit Wasser auf dem
barocken Nachttisch ab und setzte sich, mit dem Verbandskasten auf dem Schoß,
neben ihn auf das Bett. Mit einer Schere schnippelte sie die Haare um die Wunde
herum weg und ließ die abgeschnittenen Haarbüschel achtlos auf den Boden
fallen. Dann tauchte sie den Waschlappen in das Wasser, umfasste mit einer Hand
sanft Lukas´ Hinterkopf und zog ihn zu sich heran, ungeachtet dessen, dass sie
dadurch ihr T-Shirt mit seinem Blut besudelte. Völlig unerwartet fand sich
Lukas mit dem Gesicht an ihrer Schulter ruhend wieder, während Rabea mit
unendlicher Zartheit seine Wunde säuberte. So nahe war er ihr seit sechs Jahren
nicht mehr gewesen. Er spürte die Wärme, die von Rabeas Achselhöhle ausging,
berauschte sich an dem feinen Duft ihrer Haut und atmete die Erinnerungen an
glücklichere Zeiten ein. Jäh wurde er mit einer solchen Intensität von seinen
lange verdrängten Gefühlen überwältigt, dass er nur mit großer Mühe einen
sehnsuchtsvollen Seufzer unterdrücken konnte. Er ballte seine Hände zu Fäusten,
um gegen den unbändigen Drang anzukämpfen, sie jetzt einfach in die Arme zu
nehmen, um alle Ängste und Zweifel, vor allem aber seinen Stolz zu vergessen
und seine Seele bei ihr ankommen zu lassen.
"Tut
es sehr weh?", fragte Rabea besorgt, die seine Anspannung spürte und
völlig falsch interpretierte.
So oft
hatte sie absichtlich mit ihren Reizen ihm gegenüber kokettiert, ihn schamlos
herausgefordert und Lukas hatte ihr widerstanden, hatte sich stets als der
Überlegenere erwiesen. Aber ausgerechnet dieser Augenblick war es, als Rabea
ihn liebevoll umsorgte und sich des unwiderstehlichen Reizes, den sie auf ihn
ausübte, gar nicht bewusst war, der Lukas aus seiner seit Jahren mühsam
aufrecht erhaltenen Beherrschung riss. Er begriff, wie einfach alles sein
konnte. Sicherlich spielte auch die soeben überstandene, lebensbedrohliche
Situation dabei eine Rolle, dass er diese beinahe sinnliche Energie der
Gewissheit in sich fühlte. Aber hatte er auch den Mut dazu umzukehren? Doch es war
das Jahr 2012. Was machte es, dass Rabea Jüdin und er Christ war? Es stand ihm
frei, den Jesuitenorden zu verlassen, er hatte die freie Wahl über sein Leben.
Trunken von Rabeas Nähe und seinen angestauten, unerfüllten Sehnsüchten, vergaß
Lukas alles um sich herum. Er
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