Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
wohltuend kühlen
Flur. Der köstliche Duft von frisch Gebackenem umfing sie und kitzelte ihre
Nase. Plötzlich verspürte sie nicht nur brennenden Durst, sondern auch
bohrenden Hunger.
"Hier
bitte, das Telefon. Bedienen Sie sich." Die Bäuerin zeigte auf ein in
dieser Umgebung unerwartet modernes Tastentelefon auf einer zerschrammten
Schubladenkommode, das von Familienbildern in Silberrahmen und einem Strauß
Kunstblumen eingerahmt war. Über der Kommode hing ein vergilbtes Bild von
Johannes XXIII. und eine kunterbunte Sammlung von Heiligen- und Sterbebildern,
die mit einfachen Reißzwecken auf der verblassten Blümchentapete befestigt
waren.
"Ich
hole ihnen ein Glas Wasser, Signorina", meinte ihre Helferin und
entschwand in die Küche. Lucie hörte Geschirr klappern. Sie griff nach dem
Hörer und wählte zuerst die Nummer der Wohnung in Rom. Vielleicht war ja Grassa
noch da und konnte die Polizei gleich hierherschicken. Sie versuchte es
zweimal, jedes Mal schaltete sich sofort der Anrufbeantworter ein, aber er
musste irgendwie defekt sein, da sie keine Nachricht hinterlassen konnte.
Enttäuscht legte sie auf, als ihr einfiel, dass sie vor lauter Aufregung
vergessen hatte, die Alte zu fragen, wo sie sich eigentlich genau befand. Dann
versuchte sie ihre Freundin Rabea auf dem Mobiltelefon zu erreichen, aber eine
lahme Computerstimme informierte sie, dass die Angerufene "al momento“
nicht erreichbar sei. In Nürnberg in der Villa nahm auch niemand das Telefon
ab. Frau Gabler saugte Staub und ihre Mutter Evelyn war ausgegangen. Und das
Handy ihres Vaters war abgestellt, da er gerade im Flugzeug nach Rom saß. Es
war mehr als Pech, dass Lucie in genau jenen Sekunden versuchte, in Rom
anzurufen, als gerade ein Techniker der Polizei dabei war, das Telefon in der
Wohnung zu präparieren und mit der Zentrale der Polizei zu verbinden, falls der
erwartete Anruf der Entführer eintraf. Doch bei der Gelegenheit fand man die
von Trapano installierte Hochleistungswanze, was bei Grassa Alarm auslöste und
eine sofortige gründliche Durchsuchung der Wohnung zur Folge hatte und weitere
Abhörgeräte in Wohn- und Schlafzimmer von Lukas von Stetten zutage förderte.
Der Commissario tobte vor Wut. Er hasste es, sich in die Karten sehen zu
lassen. Unweigerlich musste er sich fragen, wer Interesse daran hatte, den
jungen Jesuiten zu belauschen, außer ihm selbst natürlich. Was Grassa jedoch am
meisten verärgerte, war, dass ihm jemand zuvorgekommen war.
Verdammt,
wo stecken die denn bloß alle? Macht sich denn keiner Sorgen um mich? fragte sich Lucie inzwischen, während sie eine dunkle Woge der Verzweiflung
überspülte und in ihr das dumpfe Gefühl trostloser Einsamkeit zurückließ.
Ihre
gute Samariterin kam mit einem voll beladenen Tablett aus der Küche. "Und?
Haben Sie jemanden erreicht?"
Lucie
schüttelte entmutigt den Kopf. Mit einer Geste forderte die Alte Lucie auf, ihr
ins Wohnzimmer zu folgen. Das Tablett barg außer zwei Gläsern Wasser, dicke
Scheiben duftenden warmen Brotes, sahnige Butter, saftigen Prosciutto sowie ein
Fläschchen Jod und Verbandsmaterial.
"Wo
sind wir hier eigentlich? Gibt es in der Nähe eine Polizeistation? Vielleicht
kann jemand hierher kommen und mich abholen?"
"Si,
si. Natürlich rufen wir die Polizei an. Die ist in Monte Bello, ungefähr 15
Kilometer von hier. Das Telefonbuch findest du in der obersten Schublade der
Kommode."
Lucie
lief zurück in den Flur und zog die genannte Schublade auf. Unter ein paar
alten Zeitungen fand sie das Telefonbuch, allerdings war es die Ausgabe
1989/1990. Sie wählte die Nummer. Belegt. Dann die italienische Notrufnummer.
Belegt. Langsam kam es Lucie vor, als hätte sich alles gegen sie verschworen.
War denn überhaupt niemand zu erreichen? Da draußen waren zwei Gangster mit
Schusswaffen und sie saß hilflos in einem Haus mit einer alten Frau fest.
Mutlos kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, setzte sich auf den etwas wackeligen
Polsterstuhl am Esstisch und griff nach dem vollen Wasserglas, das sie in einem
Zug gierig hinunterstürzte und meinte dann zu Ihrer Wohltäterin: "Ich kann
niemanden erreichen. Bei der Polizei war auch belegt. Ich möchte Ihnen danken,
dabei weiß ich nicht einmal, wie Sie heißen.“
Die
alte Frau nahm ihre Hand und tätschelte sie beruhigend mit ihrer von
lebenslanger Feldarbeit gezeichneten Hand. "Ich bin Anna Sassi. Aber sagen
Sie einfach Anna zu mir. Kommen Sie. Versuchen Sie es noch mal und dann essen
Sie etwas, das hilft
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