Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Geschwindigkeit nach links ab, so dass Lucie, die sich nicht
rechtzeitig fest gehalten hatte, sich mit einem heftigem Rumsen den Ellenbogen
stieß. Der Aufprall war sicher auch vorne im Wagen deutlich zu hören gewesen.
Hektisch tastete Lucie nach den Handschellen, die ihr durch die Bewegung
entglitten waren, legte sie sich eilig wieder um, aber ohne sie einrasten zu
lassen und stopfte sich geistesgegenwärtig den stinkenden Knebel zurück in den
Mund. Nicht zu früh, der Wagen hielt und eine Tür öffnete sich. Schritte kamen
näher und Lucie stellte sich bewusstlos. Jemand öffnete den Kofferraumdeckel
und die Helligkeit der hochstehenden Sonne traf sie völlig unvorbereitet.
Lichtblitze durchdrangen ihre geschlossenen Lider und beinahe hätte sie
geblinzelt. Sie spürte eine vage Bewegung über sich, dann beugte sich jemand
tief zu ihr hinunter und das Licht wich Dunkelheit. Abgestandener Männerschweiß
und Nikotingeruch stachen ihr unangenehm in die Nase. Plötzlich griff der Mann
nach ihrer Schulter und schüttelte sie mehrmals grob, so dass sie sich den Kopf
erneut an der Umrahmung stieß. Tapfer verkniff sich Lucie jeglichen
Schmerzenslaut, ihr Puls raste. Der Mann ließ von ihr ab und Lucie wollte
innerlich bereits aufatmen, als sich plötzlich eine raue Hand langsam ihren nackten
Oberschenkel hinauf tastete. Der Mann atmete schwer und seine Hand näherte sich
dem Punkt, an dem Lucie den Impuls nicht mehr zurückhalten konnte, ihm die Hand
wegzuschlagen.
"Was
machst du denn da?", ertönte da eine befehlsgewohnte Stimme gerade noch
rechtzeitig und hastig fuhr die gierige Hand zurück.
"Du
solltest nur nachsehen, ob sie wach ist. Der Protektor hat ausdrücklich
verboten, sie anzurühren. Er will sie unversehrt. Also Finger weg. Mach den
Deckel gefälligst zu und tank den Wagen voll. Ich geh` mal pinkeln."
Unter
ihren langen Wimpern hervor beobachtete Lucie, wie der Grapscher unwillig nach
dem Kofferraumdeckel griff. Durch die erhobene Hand rutschte sein graues
T-Shirt hoch und gab Lucie kurz den Blick auf den mageren blassen Bauch frei.
Der Bauch interessierte sie weniger, dafür die Pistole, die gut sichtbar in
seinem Hosenbund steckte. Der Deckel schlug krachend über ihr zu und sie konnte
hören, wie dann der Tankzapfen in den Tank gesteckt wurde und die Zapfsäule
laut gurgelnd den Betrieb aufnahm. Angeekelt riss sich Lucie den Knebel aus dem
Mund und schleuderte ihn von sich. Sie benötigte nur eine Sekunde für ihren
Entschluss. Pistole hin oder her. Es war wohl ihre letzte Chance vor dem
eigentlichen Ziel der Entführer. Wer wusste, wo sie sie hinbrachten und wie gut
sie dort bewacht wurde. Sie musste es zumindest versuchen. Der Ältere hatte den
Jungen angewiesen, sie in Ruhe zu lassen, weil ein Protektor, vermutlich der
Kopf der Bande, sie unversehrt haben wollte. Das verringerte das Risiko, dass
sie sie bei ihrem Fluchtversuch erschießen würden. Vorsichtig öffnete sie den
Deckel einen Spalt. Falls der Fummler, wie sie ihn getauft hatte, freie Sicht
auf das Heck hatte, würde ihr Fluchtversuch enden, bevor er überhaupt begonnen
hatte. Sie hatte Glück. Der Entführer hatte sich ungefähr fünfundzwanzig Meter
vom Wagen entfernt und hieb mit dem Rücken zu ihr auf einen widerspenstigen
Zigarettenautomaten ein. Von dem zweiten Mann war weit und breit nichts sehen.
Lucie wünschte ihm eine miese Verdauung und hoffte, dass er in größeren
Geschäften noch lange auf der Toilette tätig war. Vorsichtig und so leise wie
möglich kletterte sie aus dem Wagen duckte sich dahinter und sah sich um. Sie
befand sich auf einer kleinen Tankstelle inmitten einer Einöde.
In
dem winzigen, vorne verglasten Häuschen, konnte sie an der Kasse eine dicke
Matrone in einer geblümten Kittelschürze erkennen. Innerhalb einer Sekunde
entschied Lucie, dass sie sich wegen der Pistole des Fummlers nicht um Hilfe an
sie wenden konnte, ohne dass sie die Frau ebenfalls in Gefahr brachte. Hektisch
suchte sie nach einer Fluchtmöglichkeit. Unmittelbar hinter der Tankstelle
stieg eine steile, mindestens 30 Meter hohe Böschung an, die oben in einem
dicht bewaldeten, langen Hügel endete, der sich so weit ihr Auge reichte, auf
beiden Seiten hinzog. Ihre einzige Möglichkeit war, das Überraschungsmoment zu
nutzen und sich die Böschung hoch zu kämpfen. In dem Wald konnte sie sich
vielleicht vor ihren Entführern verstecken. Jetzt war sie froh, dass sie sich
heute Morgen statt der Flip-Flops für ihre Leinenschuhe entschieden
Weitere Kostenlose Bücher