Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Die alte Anna hatte die beiden Entführer mehr oder
weniger im Alleingang erledigt und sie selbst hatte ein ganzes Suppenhuhn
versenkt.
Ihre
Mitstreiterin stand breitbeinig, das Jagdgewehr zwischen ihren Beinen über dem
Mörder ihres Sohnes, der nur wenige Meter von der Haustüre entfernt auf dem
Rücken lag. Den Mann hatte eine Ladung Schrot in den Magen getroffen und er lag
in einer sich rasch vergrößernden Blutpfütze. Er wimmerte und presste beide
Hände in einer jämmerlichen Geste auf seinen zerfetzten Leib, als wollte er das
Blut in seinem Leib zurückhalten, das zusammen mit seinem Leben aus ihm
herausfloss. Ein bestialischer Geruch stieg Lucies in die Nase und sie fragte
sich, woher er kam. Bis sie mit Schaudern entdeckte, dass außer dem Blut noch
etwas zwischen den Fingern ihres Entführers hervorquoll: der halbe Darm.
Deshalb stank es hier so grauenvoll nach Scheiße. Lucie musste sich an Ort und
Stelle übergeben.
Ein
paar Hühner und Gänse, die vor dem Lärm der Schießerei geflüchtet waren,
näherten sich nun neugierig gackernd dem Schauplatz des Gemetzels.
Die
Augen des Sterbenden waren starr vor Furcht und sein Atem ging hechelnd. Anna
spuckte ihm als letzten Gruß ins Gesicht und überließ ihn dann seinem
Schicksal.
Sie
lief zu ihrem Sohn, der zwischen seinem Mörder und dem dunklen Ford lag und
kniete sich hinter ihn. Ganz behutsam hob sie seinen schweren Kopf in ihren
Schoß. Der Tod musste sofort eingetreten sein, denn Alfredos Gesichtsausdruck
zeigte immer noch das freundliche Lächeln, mit dem er seinem Mörder begegnet
war. Der tödliche Schuss hatte ihn aus nächster Nähe direkt ins Herz getroffen,
es war kaum Blut ausgetreten. Genauer gesagt, es war gar kein Blut ausgetreten.
Nur ein kleines, hässliches und schwarzes Loch im Hemd zeigte an, wo die Kugel
eingedrungen war. Anna stutzte, Alfredo stöhnte und seine Mutter zuckte
erschrocken zurück. Hektisch fummelte sie an Alfredos Brust herum, genau an der
Stelle, an der die Kugel eingedrungen war, befand sich eine Tasche. Anna zog
eine völlig eingedellte Schnupftabakdose hervor. Die Dose hatte einmal ihrem
Mann gehört und hatte nun ihrem Sohn das Leben gerettet. Alfredo stöhnte erneut
und schlug die Augen auf. Als erstes sah er seine Mutter mit tränenüberströmten
Wangen verkehrt herum über sich gebeugt. Ungläubig blickte er abwechselnd auf
sie und auf die demolierte Dose in ihrer Hand. Dann schien ihm wieder
einzufallen, was gerade passiert war und hektisch tastete er auf seiner Brust
herum. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen. "Sag bloß nie mehr was
gegen das Schnupfen, Mama", brachte er keuchend hervor.
Anna
lachte und weinte gleichzeitig und drückte ihren Sohn fest an sich. Erleichtert
umarmte auch Lucie Alfredo, der sich das gerne, trotz Schmerzen, gefallen ließ.
Ein
vorwitziges, braunes Huhn näherte sich dem Entführer, dessen hechelnder Atem
inzwischen verstummt war, und pickte zaghaft ein, zwei Mal an seiner schlaffen
linken Hand herum. Mit schief gelegten Kopf schien es sich empört zu fragen,
wie der Zweibeiner dazu kam, sich inmitten ihres Hofes einfach schlafen zu
legen?
Lucie
fiel auf, dass der Tote noch immer seine Pistole fest umklammert hielt. Aus
einem Impuls heraus oder vielleicht auch, weil sie sich erinnerte, dass Jules
es ihr so beigebracht hatte, stand sie auf und stieß die Pistole mit ihrem Fuß
weit weg, dass diese unter das Fahrzeug schlitterte.
Nachdem
die Gefahr nun endlich gebannt war, hielt Lucie nichts mehr auf den Beinen und
sie setzte sich dort, wo sie gerade stand, hin. Sie dachte an Lukas. Heute
Mittag hatte sie eine innere Unruhe erfasst und ein starker Impuls hatte sie
überkommen, ihn sofort anzurufen, ohne ihn jedoch zu erreichen. Wenig später
hatte man sie aus der Wohnung in Rom entführt. Als ihr der Mann das
Betäubungsmittel ins Gesicht presste, hatte sie, klamm vor Angst, nach ihm
gerufen. Kurz hatte sie geglaubt, dass sie zu ihm durchgedrungen war, aber auf
einmal war da nur noch gähnende Schwärze gewesen und sie war sich nicht
gänzlich sicher, ob dies allein dem Chloroform zuzuschreiben war. Tatsächlich
hatte sie sogar das Gefühl gehabt, dass sich ihr Bruder absichtlich vor ihr
verschlossen hatte und noch jetzt wirkte dieses beängstigende Gefühl der Leere
in ihr nach. Die mentale Verbindung zu Lukas hatte ihr stets ein Gefühl von
Stärke vermittelt. Plötzlich schlich sich ein neuer, erschreckender Gedanke in
ihr Bewusstsein und die Erkenntnis traf sie wie
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