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Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Titel: Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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Schwerfällig stand er auf und schlurfte nach
draußen. Lucie wusste, dass er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen,
aber seine Brust musste  ihm heftige Schmerzen bereiten.
    Trotz
der beruhigenden Wirkung des Alkohols fühlte sich Lucie elend. Seit knapp
dreißig Stunden war sie nun auf den Beinen, war betäubt, entführt, beschossen
und Zeugin eines brutalen Überfalls geworden. Unter dem Eindruck der
furchtbaren Erlebnisse befand sich Lucie nun in genau jener destruktiven
Weltschmerzstimmung, um sich an allen Geschehnissen die alleinige Schuld zu
geben. Nur weil sie sich das Pferd ausgeliehen und Anna um Hilfe gebeten hatte,
waren die Entführer hierhergekommen und sie hatte sie dabei alle in
Lebensgefahr gebracht. Beinahe hätten die Männer Alfredo getötet, der nur wie
durch ein Wunder überlebt hatte. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Mit dem
Handballen wischte sie schnell darüber, da Anna eben in die Küche zurückkehrte.
Die alte Bäuerin setzte sich ihr gegenüber und griff mitfühlend nach ihrer
Hand. Lucie spürte ihr Mitleid und konnte nicht anders, als ihr zuzulächeln.
Noch nie zuvor in ihrem Leben war sie einem Menschen wie ihr begegnet. Woher
nahm sie bloß ihre Kraft, ihren Mut? Sie musste weit über siebzig sein, hatte
soeben mit angesehen, wie man beinahe ihren Sohn ermordete, trotzdem hatte sie
kaltes Blut gewahrt, ihr Gewehr genommen und ohne mit der Wimper zu zucken den
vermeintlichen Mord an ihrem Sohn gerächt.
    "Ich
wollte nicht herumheulen, wie ein kleines Kind", schniefte Lucie und zog
geräuschvoll ihre Nase hoch.
    Anna
hatte ein blitzsauberes Taschentuch aus ihrer weiträumigen Kitteltasche parat
und reichte es ihr. Dankbar griff Lucie danach.
    "Es
war ein schlimmer Tag für uns beide. Ich konnte endlich die Polizei erreichen.
Sie schicken gleich jemanden vorbei." Dass der Leiter der Dienststelle
Annas kurze Schilderung der Ereignisse für einen schlechten Scherz hielt, sagte
sie Lucie nicht. Beim Anblick ihrer Tränen meinte die Alte: "Lucie, Mädchen,
was hast du denn für Kummer? Es ist doch jetzt alles gut."
    Lucie
hob ihr verzweifeltes, tränenfeuchtes Gesicht zu ihr auf: "Ach, Anna. Es
tut mir so furchtbar leid. Das ist alles meine Schuld", brach es aus ihr
heraus.
    "Ja,
da hast du natürlich vollkommen Recht“, pflichtete ihr Anna scheinbar bei.
„Wenn du nicht entführt worden wärst und wenn das Pferd nicht auf der Koppel
gewesen wäre und wenn Alfredo nicht heute auf dem Feld gewesen wäre und wenn
wir nicht hier wohnen würden ...", leierte Anna herunter. Dann hob sie
sanft Lucies Kinn mit ihrer rauen Hand an und zwang sie, ihr direkt in ihre
gütigen, braunen Augen zu sehen: "Lucie, Liebes. Wir können so
weitermachen und zurückgehen bis auf Adam und Eva. Schau, mein Mann Enrico,
Gott-habe-ihn-selig, unser Sohn Alfredo und ich, wir sind immer gottesfürchtige
Katholiken gewesen. Unser Glaube und unsere Liebe zu Gott und unseren Herrn
Jesus Christus ist einfach, rein und gut. Selbst wenn Gott mir heute meinen
Alfredo genommen hätte, wüsste ich, dass er dann bei meinem Mann Enrico und
seinen beiden Schwestern angekommen wäre und das würde mich trösten. Natürlich
hätte ich um Alfredo geweint, bis mein Herz in Tränen ertrunken wäre, was soll
ich tun, ich bin nur ein altes Weib. Irgendwann aber werden wir alle wieder im
Himmelreich vereint sein. Daran glaube ich, und daran glaubt auch mein Alfredo.
Heute hat es dem Herrgott noch nicht gefallen mich oder Alfredo zu sich zu
rufen. Alles ist gut."
    Mit
ungläubigem Staunen hatte Lucie den einfachen, tröstenden Worten der alten Anna
gelauscht. Deren Inbrunst und die Fähigkeit, sich in klaren, einfachen Worten
auszudrücken, erinnerte sie an jemanden. Erneut fragte sie sich, woher Anna
diese unglaubliche Kraft und Seelenstärke nahm. Dabei wusste sie bereits die
Antwort. Anna hatte sie ihr eben gegeben. Ihr Glaube war die Antwort. Und mit
einem Mal wusste sie, an wen Anna sie erinnerte. An ihren Bruder Lukas. Auch er
besaß diese besondere Gabe, die Menschen in wenigen und einfachen Worten zu
trösten und ihnen etwas von seiner eigenen Kraft abzugeben und ihnen Hoffnung
zu schenken. Eine brennende Sehnsucht nach ihrem Bruder erfüllte sie, nach
seiner tröstlichen Nähe und Zuversicht. Jäh hatte sich das enge Band zwischen
ihnen erneuert, die besondere Verbindung zu ihm war wieder da und ein derart
übermächtiges Gefühl der Dankbarkeit durchströmte sie, dass die Erleichterung
ein Leuchten in ihre Augen

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