Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Nichts hat sich geändert, immer wieder sind wir Juden die
Dummen.“ Die Hände zu Fäusten geballt, schleuderte Rabea ihren dicken Zopf mit
einer wütenden Bewegung auf den Rücken.
„Womit wir bei der Politik wären, was, wie du weißt, nicht gerade
meine Stärke ist. Aber mein kluger Bruder hat kürzlich erwähnt, dass sich seit
der sogenannten Befreiung des Irak die Terroranschläge weltweit verdreifacht
haben.“
„Stimmt. Aber ich spreche vom Iran. Der neue Präsident ist ein Khomeini-treuer
Schiit und hasst die Juden. Ohne den Einmarsch der Amerikaner in den Irak wäre
er nie gewählt worden; das gemeinsame Feindbild hat die konservativen Wähler erst
mobilisiert. Nichts verbindet mehr als Hass."
Rabea blieb jetzt stehen, sowohl wörtlich als auch physisch. Was
gut war, denn Lucie war beinahe schwindelig von Rabeas raschem Auf und Ab und ihrem
leidenschaftlichen Gestikulieren.
Rabea suchte Lucies Blick und ihr Zorn verpuffte beinahe
augenblicklich in den mitfühlenden Augen ihrer Freundin. "Ach Lucie.
Verdammt, ich weiß genau, wie sich das alles anhört: Wie die Tirade einer
hysterischen Atheistin. Ich habe im Irak nicht nur meine Objektivität verloren,
sondern auch jegliche Hoffnung. Ich werde höchstens noch Interviews machen können
und für Frauenjournale berichten. Ende und Amen, wie Lukas sagen würde.“ Niedergeschlagen
ließ sich Rabea auf einen Sessel sinken.
Lucie stand auf und ging vor ihrer Freundin in die Hocke: „Aber
nein, mein dummes Tschapperle. Ich glaube nicht, dass du dein Selbst verloren
hast. Es war immer da. Du hattest nur dein Herz und deine Seele ganz fest unter
deinem sogenannten Berufsethos vergraben, dich selbst verleugnet, um dich vor dem
Leid, das du miterleben musstest, zu schützen. Du hast immer gesagt, wenn man
nicht die Wahrheit sagen darf, dann kann man es auch gleich lassen. Du bist die,
die du immer warst, eine mitfühlende Seele. Unsere Rabea, die am liebsten im
Alleingang die ganze Welt, jeden Menschen und jedes Tier darauf retten möchte:
unsere Rabbi Hood. Bitte sei nicht so hart zu dir selbst und auch nicht zu Gott.
Ich will ja keine Lanze für ihn brechen, aber wie du weißt, habe ich
zufällig einen Bruder, der Priester ist. Und der glaubt so sicher an ihn, wie du
ihn verleugnest. Mathematisch gesehen ist das eine Gleichung, die zu Null
aufgeht. Oder was meinst du? Ich gebe zu, dass ihm nach seiner
Schöpfungsgeschichte das Ganze ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist. Aber etwas
Gutes muss an ihmsein, wenn so viele durch ihn Trost finden und es Menschen
wie Lukas gibt, die in seinem Namen viel Positives bewirken. Außerdem, du und
Lukas, ihr seid euch so viel ähnlicher als ihr denkt - im Grunde habt ihr beide
das gleiche Ziel: Ihr wollt die ganze Welt im Alleingang retten.“
"Ach Lucie“, wehrte Rabea ab. „Ich weiß ja, du meinst es gut.
Aber das ist gerade das Schlimme daran. Sie , die Kirchenoberen, holen
sich die Besten von ihnen, diejenigen, die an der Basis das Gute bewirken.
Durch Priester wie Lukas ködern sie die Masse der Gläubigen und erhalten damit
der Institution Kirche ihre Macht. Der Vatikanstaat ist ein Profitcenter, er
verschlingt nicht nur ihre Seelen, sondern auch ihr Geld. Je mehr
spendenwillige Gläubige, desto höher auch ihre Einnahmen. Mehr Geld, mehr
Macht. Das ist die Gleichung, Lucie“, entgegnete Rabea, aber sie wirkte bereits
ruhiger. Sie drückte die Hand ihrer Freundin und lenkte dann überraschend ein.
"Du hast Recht. So lange es so reine und anständige Seelen wie Lukas gibt,
besteht für die Menschheit immer noch Hoffnung. Lukas ist ein Seelenflüsterer."
Als sie dies sagte, verglühte der letzte Funken Zorn in ihren smaragdfarbenen Augen
und machte einem Ausdruck hungriger Sehnsucht Platz. Und Lucie verstand. Sie
kannte diesen Blick, hatte ihn in den vergangen Jahren einige wenige Male an
ihrem Zwillingsbruder Lukas wahrgenommen, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
Bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte, hatte sie es bereits
ausgesprochen: "Du liebst Lukas noch immer, nicht wahr?"
Rabea wandte sich ihrer Freundin zu: "Ich habe nie aufgehört,
ihn zu lieben."
"Ach, ihr zwei", seufzte Lucie wissend - in Liebesdingen
und an Liebhabern zwar erfahrener, aber nicht gerade die erste Anlaufstelle,
wenn es um Expertenratschläge ging. "Wisst ihr, woran ihr mich erinnert?
An eine lustige alte Sage, die uns kürzlich meine Professorin, eine Koryphäe
für koptische Sprachen, erzählt hat. Du wirst sie bald
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