Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
gefährlich sanft.
Rabea
verschluckte sich beinahe und grinste Lucie über den Tassenrand hinweg
entschuldigend an. "Man kann es ja mal versuchen. Ich sollte eigentlich am
besten wissen, dass man dich nicht unterschätzen darf, Blondie."
"Kein
Problem, Hexe. Also, sag schon. Du hast doch was. Du
bist magerer als eine streunende Katze. Hast du dort nicht genug zu essen
bekommen, oder ist dir vom Krieg der Appetit vergangen?“
„Ein bisschen von beidem. Ich war zusammen mit anderen
Journalisten im Hotel Palestine untergebracht. Es wird gut bewacht und Fatalismus
ist unter uns Journalisten sowieso eine Berufskrankheit. Ein jeder hofft, dass
es ihn nicht erwischt. Was verblüffend ist: Einige der alten Hasen nehmen die
Jungen unter ihre Fittiche und wir verzichten manchmal sogar auf den üblichen Konkurrenzkampf.
Es ist schon erstaunlich, wie Extremsituationen auch immer wieder das Beste im
Menschen hervorbringen. Aber bitte Lucie, könnten wir nicht das Thema wechseln?
Ich bin eigentlich hierher gekommen, damit ich einmal abschalten kann. Weißt
du, das einzige gute Haar, das ich an Bagdad lassen kann, ist, dass man dort
eine geile Gefahrenzulage bekommt und absolut keine Möglichkeit hat,
irgendetwas davon zu verprassen. Ich bin hier, um den Luxus einer westlichen
Großstadt zu genießen. Also, was machen wir heute? Überfallen wir die Via
Frattina? Ich brauche dringend ein paar neue Klamotten." Die Via Frattina,
zwischen der Piazza di Spagna und der Via del Corso gelegen, war der Geheimtipp
der jungen Römerinnen für schicke und trotzdem erschwingliche Mode.
Lucie hatte Rabea zugehört und dabei aufmerksam beobachtet. Alles
in allem klang sie zwar recht munter und doch stimmte etwas nicht mit ihrer
Freundin. Ihre Fröhlichkeit wirkte ihr etwas zu aufgesetzt, zudem hatte sie
noch nie erlebt, dass Rabea, die, wenn es um ihre Arbeit ging, sonst kaum zu
bremsen war, abblockte. Lucie rückte ihren Korbstuhl näher an Rabea heran und
beugte sich zu ihr vor, um ihr mit dem Zeigefinger auf die kleine Nase zu tippen:
„O.k., Fräulein Naseweis. Und die Marienkäfer fliegen rückwärts. Schluss mit
dem Gedöns. Mit diesen Verbalpopeln kannst du vielleicht deinen Chefredakteur
anschmieren, aber hey, ich bin Lucie, deine beste Freundin. Wir sind Thelma und
Louise, die überlebt haben. Zweite Chance, bitte das Ganze da capo. Was ist los
mit dir? Warum bist du wirklich hier?“
Rabea ließ einen langen, resigniert klingenden Seufzer hören:
„Hätte ich mir ja denken können, dass du nicht aufgibst. Also gut. Eigentlich
wollte ich dich damit nicht gleich überfallen, aber ich bin hier, weil ich deine
Hilfe brauche. Du weißt, Lucie Angst oder Selbstzweifel waren mir immer fremd.
Bisher. Kein Abenteuer, keine Herausforderung, in die ich mich nicht mit Pauken
und Trompeten gestürzt hätte. Mein Akku war immer voll, mein Energievorrat
unerschöpflich. Dachte ich. Vor dir sitzt ein Wrack, Lucie. Ich bin
ausgebrannt, am Ende, völlig fertig.“ Rabea stockte und nahm einen tiefen
Schluck aus ihrer Tasse, der sich wie ein weiterer Stoßseufzer anhörte.
Lucie sah wie Rabeas Hand dabei zitterte, und es war diese
Beobachtung, die sie weit mehr als deren Geständnis erschütterte. Rabea hatte
Lucies Blick aufgefangen. Sie stand auf und lief mehrmals auf und ab, bis sie abrupt
vor Lucies Stuhl stehen blieb und ihr in einer hilflosen Geste die kleinen
Hände entgegen streckte. „Da siehst du, wie weit es mit mir gekommen ist,
Lucie. Ich zittere wie eine alte Frau. Ich bin nicht mehr ich. “
Lucie sah stumm zu ihr auf. Sie wartete darauf, dass Rabea ihr
alles erzählte.
"Gut“, gab Rabea nach. „Ich erzähle dir die ganze Story. Aber
ich warne dich, es ist eine trübselige Geschichte. Sag, kannst du dich noch an
meinen Meister Friedolin erinnern?“
„Deinen Goldfisch? Wie könnte ich den je vergessen, er war mein
erstes Kindheitstrauma. Wir waren ungefähr sieben und ich habe ihn kieloben
schwimmend in dem großen Glas in deinem Zimmer gefunden.“
„Ja, und du hast mich zuerst noch gefragt, ob Goldfische Rücken schwimmen
können“, ergänzte Rabea mit einem traurigen Lächeln. „Weißt du auch noch, wie
uns mein Großvater damals getröstet hat, als wir in Tränen aufgelöst sein
Studierzimmer gestürmt haben?“
„Ja, er sagte, dass Meister Friedolin sein ganzes Leben mit dem
Bauch nach unten geschwommen wäre und das Glas wäre seine eigene, kleine
glückliche Welt gewesen. Und nun hätte er sie verlassen und
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