Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Schluchzern
geschüttelt wurde. In Gedanken war sie plötzlich wieder bei jenemTag vor neun
Jahren, als sie Lucie ihrerseits in den Armen gehalten und getröstet hatte - damals,
während ihres gemeinsamen, verrückten Trips in den Vorderen Orient. Es war an
jenem Tag in Beirut gewesen, als Rabea und ihr gemeinsamer neuer Freund Jules
nach einer verzweifelten Jagd durch die engen, vor Hitze flirrenden Gassen und
Hinterhöfe endlich die von modernen Sklavenhändlern verschleppte Lucie
aufgespürt hatten. Drei Tage und zwei Nächte hatte Rabea weder geschlafen noch
gegessen. Nur der Gedanke an Lucie hatte sie auf den Beinen gehalten, und dass
es allein ihre Schuld wäre, wenn ihrer Freundin etwas zugestoßen war. Denn es
war ihre närrische Idee gewesen, nach dem Abitur auszubüchsen und der düsteren
Traueratmosphäre nach dem Tod von Lucies älterem Bruder Alexander im Hause von
Stetten zu entfliehen. Sie hatte Lucie mit Engelszungen zu dem verrückten Roadtrip
à la „Thelma & Louise“ überreden müssen, da diese sich verpflichtet gefühlt
hatte, bei ihrer trauernden Mutter zu bleiben, der es sehr schlecht ging. Aber
mit dem Argument, dass Lucie ihrer Mutter, die in einem Sanatorium in eine Art
Heilschlaf versetzt worden war, sowieso nicht helfen konnte, hatte Lucie, die
selbst unendlich um ihren Bruder trauerte, Rabeas Drängen nachgegeben.
Jules und Rabea hatten eine verdreckte und erschöpfte, aber
angesichts der Umstände trotz allem gefasste Lucie aus der Gefangenschaft
befreit. Als sie den primitiven Holzverschlag aufbrachen, in dem Lucie
eingesperrt gewesen war, hatte diese sie trocken angeblinzelt: „Wurde aber auch
Zeit ihr zwei. Verdammt noch mal, warum hat das so lange gedauert?“ Toughe
Lucie. Danach hatte Lucie ihnen Weltliteratur in abgewandelter Form um die
Ohren gedroschen: „Ein Königreich für ein Stück Seife.“ Die drei hatten im
nächstgelegenen Hotel eingecheckt, wo Lucie geschlagene zwei Stunden
ununterbrochen geduscht hatte. Erst danach hatte sie sich in Rabeas Armen
ausgeweint.
Die Erinnerung an ihr vergangenes Abenteuer half Rabea dabei, sich
wieder zu fangen. Sie schämte sich ein wenig, dass sie sich so hatte gehen
lassen und hob den Kopf: „Kannst du dich erinnern, Lucie, damals in Beirut,
deine Duschorgie im Hotel? Soll ich dir was sagen? Du bist die Kernseife meiner
Seele . “
Lucie drückte Rabea nochmals fest an sich und stand dann auf, um
für sie ein Kleenex aus der Box auf der Theke zu fischen.
„Sag einmal, wie geht es eigentlich Jules? Hast du in letzter Zeit
etwas von ihm gehört?“, fragte Rabea, während sie das Papiertuch dankbar
entgegennahm und sich ihre verweinten Augen abtupfte.
„Ja, natürlich. Wir telefonieren regelmäßig. Er hat es übrigens
geschafft. Vor zwei Jahren hat er seinen ersehnten Friseursalon in München
eröffnet. Typisch Jules, alles orientalisch-puffig, mit viel Rot und Plüsch.
Ich war bei der Einweihungsparty dabei. Ein irrer Almauftrieb. Jules ist ganz
der Alte und hat schon wieder überall seine Netze gespannt, sein Laden boomt.
Es wird nicht mehr lange dauern und Udo Walz bekommt ernsthafte Konkurrenz.“
Jules , dachte Rabea. Was für ein
Glückstag, als sie ihm zufällig in einem kleinen Fotogeschäft in Beirut
begegnet war. Eigentlich wollte sie nur einen simplen Film kaufen, aber der
Besitzer hatte versucht, sie mit einem horrenden Preis übers Ohr zu hauen.
Rabea hatte lautstark mit ihm gestritten, obwohl keiner ein Wort vom anderen
verstehen konnte, als eine Stimme in ihrem Rücken in einem Deutsch mit leicht
französisch eingefärbtem Akzent fragte: „Kann isch der Mademoiselle vielleischt
behilflisch sein?“
Der Mann hatte nur wenige Worte zu dem plötzlich devot wirkenden
Ladenbesitzer gesagt, und schon wechselte der Film zu einem akzeptablen Preis
den Besitzer.
So hatte Rabea Jules Lafitte kennen gelernt. Jules hatte sich als
örtlicher Barbier vorgestellt und schien Gott und die Welt zu kennen. Rabea
fiel auf, dass er es für einen einfachen Barbier meisterlich verstand, sich
immer und überall sofort Respekt zu verschaffen. Rabea und Lucie hatten sich
mit ihm angefreundet und Jules hatte sie auf weite Ausflüge in die Wüste
mitgenommen, wo er ihnen längst vergessene Ausgrabungsstätten zeigte. Gemeinsam
mit ihm besuchten sie versteckte Restaurants, die sonst nie ein Tourist zu
sehen bekam und in denen sie die köstlichsten orientalischen Spezialitäten
probierten, und als ihnen am Ende das Geld ausging, half
Weitere Kostenlose Bücher