Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Lukas dieser wiederkehrende Alptraum seit seiner
frühesten Jugend verfolgte, hatte er ihnen irgendwann davon erzählt.
„Ja. In letzter Zeit sogar häufiger und die Träume scheinen seit dem
Mord an unserem Onkel Franz, noch an Intensität zugenommen zu haben. Das ist
auch der Grund, warum ich hier bin. Ich habe in den letzten Wochen selbst
mehrere Male von ihr geträumt. Du weißt ja, wie eng Lukas und ich miteinander verbunden
sind. Ich glaube, weil er diese Alpträume so oft und so intensiv hat, sind sie nun
auch auf mich übergesprungen. Ich habe es Lukas nicht erzählt, damit er sich
nicht noch mehr Sorgen macht, aber ich dachte mir, es wäre eine gute Idee, mal
ein paar Monate bei ihm nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich sollte ich das
nicht sagen, aber im Grunde kam mir der Tod des Papstes in diesem Frühjahr äußerst
gelegen. Als Lukas im März wegen seiner Dissertation nach Rom kam, war dadurch der
gesamte Vatikan, alle Kollege und Gästehäuser überfüllt mit den aus aller Welt
angereisten Geistlichen. Nur deshalb hat Lukas die Erlaubnis erhalten,
ausnahmsweise in der Wohnung unserer Eltern zu verbleiben, wo ich jetzt auf ihn
aufpassen kann. Aber ich glaube, er kommt gleich, reden wir lieber nachher
weiter. Was hältst du von einem Bummel durch die Innenstadt? Ich zeige dir, wo
es das beste Eis Roms gibt. Wir schlecken um die Wette, wie früher. 96 Sorten!
Lukas hat sie schon alle durch, ich arbeite noch daran. Er wird gleich
verschwinden, dann kannst du dich frisch machen und duschen. Ich räume
inzwischen den Tisch ab“, schlug Lucie vor.
Rabea verdrückte sich nicht ungern in Lucies gemütliches
Schlafzimmer, welches sich die jungen Frauen die nächsten Wochen miteinander teilen
würden. Eine Dusche war bitter nötig. Sie hatte nicht vor, Lukas als
vermeintlich lebender Rabe aus dem Reich der untoten Seelen über den Weg zu
laufen. Neben dem Doppelbett aus Rattan erwartete sie ihr einziges
mitgebrachtes Gepäckstück, eine schwarze Reisetasche, die im Gegensatz zu ihrer
extravaganten Handtasche ziemlich schäbig wirkte. Aus gutem Grund. Bei ihren
vielen Reisen in vom Krieg verwüstete Landstriche hatte Rabea oft genug ihre
Nächte fernab jeglicher Zivilisation verbracht. Keine Lagerstatt, von
mottenzerfressenen Matratzen über einfache Decken, Strohsäcke oder auch nur die
blanke Erde unter freiem Himmel, war ihr fremd. Leider war am Rand der
Zivilisation des Öfteren auch der Sinn für das Eigentum des Anderen fremd, so
dass Rabea allzu häufig die unangenehme Erfahrung durchwühlter oder gestohlener
Gepäckstücke gemacht hatte. Seitdem verreiste sie nur noch mit der alten Tasche,
in der sich nie mehr als ein paar alte Shorts, T-Shirts und Jeans befanden.
Dennoch hatte sie auch diese einfachen Sachen oft genug ersetzen müssen. Aus
alter Gewohnheit hatte Rabea auch jetzt nicht viel eingepackt. Ihre
heißgeliebten Jeans und mehrere einfache T-Shirts und, als einziges Tribut an
Rom, ein schwarzes, rückenfreies Kleid, einfach aber raffiniert geschnitten.
Das Kleid besaß sie bereits seit mehr als drei Jahren, hatte es aber noch nie
getragen. Eigentlich hatte sie es nur aus einem Impuls heraus in die Tasche
gesteckt. Sie fragte sich jetzt, ob der Impuls Lukas von Stetten hieß? War sie
innerlich doch noch nicht so tot, wie sie geglaubt hatte? Sie drehte sich um
und der verspiegelte Schlafzimmerschrank warf ihr Bild gleich mehrfach zurück.
In ihrem Rücken befand sich das einzige Fenster durch das die Morgensonne zaghaft
herein blinzelte. Die junge Frau musterte sich kritisch. Für ihre zarte Statur
hatte sie einen erstaunlich üppigen Busen. Sie fuhr ihre Konturen von der Brust
bis zur Hüfte mit den Händen nach. Eindeutig zu dünn. Seit Bagdad hatte sie
keinen Appetit mehr, alles schmeckte irgendwie schal, sie hätte ebenso gut Sand
essen können, ohne den Unterschied zu bemerken. Sie beugte sich dem Spiegel
entgegen und betrachtete ihr schmales Gesicht. Mit den Fingerspitzen glättete
sie ihre rötlichen Augenbrauen und kam zu dem Schluss, dass das Schönste an ihr
immer noch ihr Haar war. Ein wahrer Königinnenschmuck. Hexenhaar, hatten die
Kinder in der Schule gerufen. Feenhaar , hatte Lukas es genannt und sie als
kindlich-tapferer Ritter vor den Attacken der anderen Schüler beschützt.
Später, in der Zeit ihrer jungen Liebe, hatte er sich stundenlang damit beschäftigen
können. Er hatte es geliebt, es durch seine Finger gleiten zu lassen, es zu
liebkosen und sein Gesicht darin zu bergen
Weitere Kostenlose Bücher