Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
und wünschte ihr und Rabea einen
schönen Tag.
„Hast du nicht etwas vergessen?“, hielt ihn Lucie noch einmal
zurück und wedelte mit dem großen Umschlag des Vatikans. Da sie ja nichts von
Bentivoglios ungewöhnlicher Vorladung wusste, ging sie davon aus, dass Lukas am
Nachmittag die Bibliothek des Vatikans aufsuchen würde. Es missfiel ihm, seine
Schwester zu täuschen, aber das Postskriptum seines Ordensgenerals ließ ihm
keine andere Wahl. Mit einem schiefen Lächeln nahm er den Umschlag entgegen und
drückte Lucie einen brüderlichen Kuss auf die Stirn. Dann eilte er mit langen
Schritten den Korridor entlang und riss mit Schwung die Wohnungstüre auf. Beinahe
wäre er dabei mit einer kräftigen Frau zusammengestoßen, die soeben im Begriff
gewesen war, zu läuten. Sie strahlte ihn mit ihren großen Zähnen an und im
selben Moment erkannte er sie als die holländische Professorin, bei der seine
Schwester alte Sprachen studierte. In letzter Zeit war die Frau ziemlich häufig
und meist unangekündigt bei ihnen aufgetaucht und er fragte sich, was Lucie an
ihr fand. Im Gegensatz zu ihr verspürte er immer ein leichtes Unbehagen in
ihrer Nähe. Wahrscheinlich lag es an der exaltierten Art. Die große Holländerin
sprach immer ein wenig zu laut und zu schnell und lachte beinahe nach jedem
Satz dröhnend. Sie hatte ihre massige Gestalt in ein sündhaft teures, pinkfarbenes
Designerkostüm gezwängt und üppiger Perlenschmuck an Ohren, Händen und Hals
vervollständigten ihr äußeres Erscheinungsbild. Eine wandelnde Einladung an
jeden Straßenräuber, dachte Lukas respektlos. Er ließ sich seine ungebührlichen
Gedanken keinesfalls anmerken, murmelte ein kurzes Guten Morgen und versuchte,
sich schnell an ihr vorbeizudrücken. Doch sie packte ihn mit so festem Griff am
Arm, dass es den jungen Mann beinahe zu ihr herumschleuderte.
„Pater von Stetten, einen schönen guten Tag wünsche ich Ihnen. Ist
das nicht ein wundervoller Morgen für einen Spaziergang? Ich habe uns Cornettos
mitgebracht“, trompetete sie fröhlich, schwenkte eine braune Papiertüte vor
seiner Nase und drängte sich ungeniert an ihm vorbei in die Wohnung. „Ich habe
großartige Neuigkeiten für Lucie. Ist sie da? Ich habe in Rom endlich ein
Studio für Psammo-Therapie entdeckt. Ist das nicht wunderbar?“ Sie schlug ihm
kumpelhaft auf die Schulter, so dass von Stetten beinahe in die Knie ging. Er musste
sie verständnislos angeblickt haben, denn sie beeilte sich zu erklären: „Ach,
wo habe ich nur meinen Kopf. Sie wissen natürlich nicht, was Psammo ist. Wie
sollten Sie auch, junger Mann. Psammo ist ein Bad in heißem Sand, das bereits
die alten Ägypter schätzten. Man legt sich, nur mit einem Leinenlaken
bekleidet, in eine Wanne, die mit auf 50 Grad Celsius erhitzten Sand gefüllt
ist. Das ist gut für die Durchblutung und hilft bei Muskelverspannungen. Man
fühlt sich danach herrlich. Würde ihnen auch gut tun, mein Junge. Sie machen
heute Morgen einen etwas verkniffenen Eindruck."
Lukas´ gab sich kurz der angenehmen Vision hin, wie die kräftige
Holländerin unter einer enormen Sanddüne begraben wurde.
"Oh, was sehe ich denn da?“ Die Professorin hatte mit
scharfem Blick den Umschlag mit dem Wappen des Vatikans in seiner Hand erspäht:
„Sie haben auch eine Einladung vom Vatikan zu dem Empfang der südamerikanischen
Delegation übermorgen erhalten? Vielleicht sehen wir uns ja dort. Ich würde
mich so freuen. Ach, da ist ja meine Kleine.“ Lucie kam mit einem Geschirrtuch
in der Hand aus der Küche und blickte Carlotta van Kampen freudig entgegen.
Durch das rauschende Spülwasser hatte sie nicht gleich die Ankunft ihrer
mütterlichen Freundin mitbekommen. Während die beiden Frauen sich mit einer
herzlichen Umarmung begrüßten, verabschiedete sich Lukas hastig. Nicht zum
ersten Mal fragte er sich, was Lucie an ihr fand. Natürlich war ihm bewusst,
dass man Menschen nicht nach ihrem äußeren Erscheinungsbild beurteilen sollte.
Aufgrund ihres indezenten Auftretens vergaß man leicht, dass die holländische
Professorin van Kampen eine weltweit anerkannte Koryphäe in ihrem Fachgebiet,
der Paläographie, dem Analysieren und Übersetzen frühchristlicher
Handschriften, war. Zudem war sie eine renommierte Moraltheologin und
Dogmatikerin, die gute Beziehungen zum Vatikanstaat unterhielt. Man munkelte
seit Neuestem, dass sie vom Präfekten der Glaubenskongregation persönlich
gebeten worden war, das Vorwort für sein nächstes Buch zu
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