Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
khakifarbenen
Bermudashorts, während seine vom Großstadtstaub Roms angeschmuddelten
Zehen in riesigen Birkenstock-Sandalen steckten. Lukas
Blessuren, die bläulich verfärbte Beule und der Schnitt am Kinn, dazu seine
seriöse Aufmachung, registrierte Simone mit einem kaum merklichen Hochziehen
seiner enormen Augenbrauen, verkniff sich jedoch jegliche Bemerkung dazu. Die
beiden Patres begrüßten sich mit einer herzlichen Umarmung. Der kräftige
Pater Simone im Touristenlook und der schlanke, elegante Pater von Stetten im
schwarzen Priesteranzug ergaben ein bestechendes Kontrastprogramm.
„Lukas! Wie immer pünktlich auf die Minute. Stimmt es, du hast die
Erlaubnis erhalten, die geheime Bibliothek des Vatikans zu durchstöbern?“, fiel
Pater Simone gleich polternd mit der Tür ins Haus, wie stets gut unterrichtet.
Lukas wunderte sich kurz, da er selbst erst vor einer guten Stunde
davon erfahren hatte, dann erinnerte er sich daran, dass sein Freund gute
Beziehungen zu dem Sekretär des leitenden Bibliothekars pflegte. Einen kurzen
Augenblick war er versucht, Pater Simone von der geheimen Unterredung mit dem
Pater General zu erzählen, vielleicht hatte er auch hierüber etwas gehört?
Pater Simone war sehr beliebt, wurde oft eingeladen und war stets über alles,
was im Vatikan und sonst in Rom so vor sich ging, auf dem Laufenden. Aber der
Generalobere hatte ihn ausdrücklich um Stillschweigen angehalten und als
Untergebener durfte er sich nicht dem Wort eines Vorgesetzten widersetzen. Außerdem,
falls es Neuigkeiten aus dem Borgo Santo Spirito gäbe, würde der redselige
Simone sicherlich bald von alleine darauf zu sprechen kommen. Darum erwiderte
er: „Ja, es stimmt. Ich bin schon sehr gespannt darauf, ob ich in den dortigen
Schriften etwas entdecken werde, mit denen ich einige meiner Thesen untermauern
kann.“
„Tja, dann wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis ich dich mit
Doktor anreden muss“, meinte sein Freund mit einem Schmunzeln. „Vielleicht
wirst du bald zu Höherem berufen? Als zukünftiger Doktor der Theologie und mit
solch klangvollem Namen, wer weiß? Vielleicht ist eine nette kleine Berufung
als künftiger Provinzial drin?“, zog ihn sein Freund weiter auf.
Lukas warf ihm einen schrägen Blick zu. Die kleinen Neckereien
wegen seiner anstehenden Dissertation und dem „von“ in seinem Namen waren ein
Dauerbrenner zwischen den beiden.
Dabei hatte sein Freund selbst erst im vorigen Jahr einen
Doktortitel mit einer Arbeit über sein Spezialgebiet erworben: „Die
Reformation, Auslöser des Hexenwahns im Mittelalter, und die spanische
Inquisition.“ Alle Themen, die irgendwie mit Folter und Inquisition in
Zusammenhang standen, hatten es Pater Simone angetan. Er war sogar bis nach
Cordoba in Spanien gereist, um dort eine originalgetreue Folterkammer aus dem
17. Jahrhundert zu besichtigen. Er wollte ein so detailgetreues Bild wie
möglich von den damals angewandten Methoden zur Erzwingung von Geständnissen
von angeblichen Ketzern, Hexen oder Hexenmeistern erhalten. Soeben erst hatte
er eine Abhandlung über die Entstehung des Buches „Cautio Criminalis“, das 1631
von Friedrich Spee von Langenfeld, einem der bekanntesten Jesuiten, verfasst
wurde, veröffentlicht. Der gelehrte Jesuit Spee war Humanist gewesen und seiner
Zeit weit voraus, vor allem aber lebenslang ein vehementer Gegner des
Hexenwahns. Lukas bezeichnete die Leidenschaft seines Freundes für
Foltermethoden Pater Simones dunkle Seite.
Pater Simone entstammte einer einfachen Bauernfamilie, die mit
mehr Kindern als Brot gesegnet war und in eher ärmlichen Verhältnissen
aufgewachsen. Sein Heimatdorf befand sich auf Lampedusa, einer kleinen Insel an
der südlichsten Spitze Italiens, ungefähr 200 Kilometer vor der Küste Siziliens
und nur etwas über 100 Kilometer von Tunesien entfernt. Lampedusa war in den
letzten Jahren in den Medien zu trauriger Berühmtheit gelangt, da die Insel
immer öfter zur Anlaufstelle afrikanischer Flüchtlinge wurde, die sich in teils
winzigen und seeuntüchtigen Booten auf das offene Meer hinauswagten. Alle diese
erschöpften, verzweifelten Menschen teilten eine Hoffnung: im „reichen“ Europa
Arbeit zu finden. Lukas hatte ihn einmal dorthin begleitet und mit Erstaunen
festgestellt, dass Simones Elternhaus auch im Jahre 2009 immer noch nicht über
eine Heizung verfügte. An den wenigen, kühleren Abenden drängte sich die ganze
Familie gemütlich um den riesigen Kamin aus Vulkangestein in der
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