Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
sehr. Aber dir wird es wie
mir und vielen anderen vor dir ergehen. Ich gehe jede Wette ein - wenn ich denn
wetten würde - dass sie sogar dir innerhalb von zehn Minuten weisgemacht hat,
dass ein William Shakespeare nie existiert hat, sondern an seiner Stelle der
Inhaber des berühmten Globe Theater in London unter einem Pseudonym alle Stücke
verfasst hat. Der Mann hieß Edward Devere und den gab es wirklich. Sie hat es
mir anhand der 150 Shakespeare Sonetten erklärt, in dem sein Name als Vere oder
Uvre oder de Vere ständig auftaucht. Sie hat mir Bücher dazu aufgedrängt, dicke
Schinken von Autoren wie Looney und Ogborn. Mir hat danach so sehr der Kopf geschwirrt, dass ich wirklich nicht
mehr wusste, was ich glauben sollte. Rabea ist eine Dämonin der Worte. Versuche
also nie, sie herauszufordern. Sie kann ihre Version der Vorgänge derart
plausibel darstellen, dass man sich nicht mehr erklären kann, warum man je etwas
anderes angenommen hatte. Rabea würde noch dem Teufel eine Identitätskrise
verpassen. Man kann bei ihr nur verlieren, glaube deinem Freund.“
Pater Simone hatte den gelehrten Vortrag zunächst stirnrunzelnd, dann
mit einem wachsenden Grinsen verfolgt und entgegnete ihm nun: „Heureka, es
scheint ja noch schlimmer zu sein, als ich befürchtet habe. Ein redegewandtes
und schlaues Weib, den Ufern des Wissens entstiegen. Ich kann es kaum noch
erwarten, sie kennen zu lernen. Das wird spannend.“ Pater Simones Knopfaugen
glänzten und von Stetten warf ihm einen mitleidigen Blick zu. So wie er wusste,
dass sich sein Freund mit Sicherheit nicht an seinen Rat halten und Rabea bei
nächster Gelegenheit herausfordern würde, wusste er auch, dass dieser bald,
durchgewalkt und ausgewrungen, kopfüber an Rabeas Leine hängen würde. Jeder,
wie er es verdiente. Wenigstens konnte Simone hinterher nicht behaupten, dass
er ihn nicht gewarnt hätte.
Mit einem Blick auf seine Armbanduhr stellte Simone fest, dass es
fast Mittag war und schlug vor: „Komm, ich habe Hunger. Um die Ecke gibt es
eine hervorragende Trattoria, die machen die besten Linguini all´ Funghi von
Rom. Genau das Richtige für jetzt.“
Von Stetten verspürte in seinem Magen statt Hunger nur ein flaues
Gefühl, das wahrscheinlich von zu viel trüben Gedanken herrührte. Zwar hatte es
ihn erleichtert, seinem besten Freund sein Dilemma mit Rabea zu schildern, doch
sein Unbehagen über die ungewöhnliche Einladung seines Generaloberen war
geblieben und erneut bedauerte er, dass er sich darüber nicht mit Simone
beraten konnte. Sie wechselten in die Trattoria hinüber. Pater Simone hatte
nicht zu viel versprochen: die Linguini waren göttlich, die Pasta genau richtig
al dente, der Sugo schmeckte nach Pilzen und Wald und das typisch italienische
Weißbrot wurde frisch und warm aus dem Forno gebacken gereicht. Trotzdem aß
Lukas nur ein paar Gabeln voll, zur Freude von Simone, der nach seiner eigenen
Portion auch seinen Teller vertilgte und den letzten Rest des Sugos mit Brot
austunkte. Simone, Genussmensch von Gottes Gnaden, hatte zum Essen eine edle
Flasche trockenen Rotweins bestellt, die er bis auf ein halbes Glas, das Lukas
trank, alleine konsumierte. Nach dem Essen blieben die beiden noch eine ganze
Weile in der Bar sitzen, über die verschiedensten Dinge philosophierend – außer
über Frauen.
Allein, von Stettens Arbeit an seiner Dissertation blieb heute auf
der Strecke. Dies ein weiterer Tribut, welcher Rabeas Anwesenheit in Rom
zuzuschreiben war.
Zur selben Zeit saß der 29. Generalobere der Jesuiten, Ignazio
Bentivoglio, an seinem Schreibtisch aus schwerer polierter Eiche in seinem Büro
der Generalskurie im Borgo Santo Spirito 4, nahe der Engelsburg. Als Pater
General war er auf Lebenszeit gewählt und trug die Verantwortung für die rund
21.000 Mitglieder der weltweit größten Ordensgemeinschaft der katholischen
Kirche. Seinen Sekretär hatte er soeben unter einem Vorwand weggeschickt, um am
heutigen Tage endlich ein paar Minuten für sich alleine zu haben.
Der Sekretär war jung und stand noch nicht allzu lange in seinen
Diensten. Er war ihm von höchster Stelle empfohlen worden, nachdem sein
langjähriger Sekretär und Vertrauter, Pater Bruno Vallone, vor kurzem völlig
unerwartet bei einem tragischen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht aus dem Leben
geschieden war. Dem Polizeibericht nach wurde er spätabends auf seinem Fahrrad
angefahren. Die Polizei hatte eine Großfahndung nach dem Täter eingeleitet,
jedoch ohne Erfolg.
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