Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Bentivoglio zweifelte daran, dass er je gefasst werden
würde. Er vermisste den ruhigen, ausgeglichenen Pater Vallone sehr, der beinahe
zwölf Jahre sein Sekretär gewesen und in dieser Zeit ein echter Freund für ihn geworden
war.
Der neue Sekretär stellte sich nicht ungeschickt an, war jedoch
von brennendem Ehrgeiz beseelt und übereifrig bei der Sache, was den über
siebzigjährigen Pater General manchmal über die Gebühren anstrengte.
Bentivoglio wusste aus eigener Erfahrung, wie heimtückisch und gefährlich der
vergiftete Stachel des Ehrgeizes wirken konnte. Er nahm sich vor, ein ernstes
Gespräch mit dem jungen Pater darüber zu führen.
Dies müsste bald geschehen, denn ihm, dem Tod Geweihten, blieb
nicht mehr viel Zeit. Schwer atmend stützte Bentivoglio seinen vollkommen
kahlen Kopf in die Hände. Der Krebs hatte sich fest in seinem Körper
eingenistet, fraß sich mit spitzen kleinen Zähnen von innen nach außen. Er saß
überall und die furchtbaren Schmerzen erschöpften ihn zusehends. Oft war ihm
danach, sich auf dem Boden zu wälzen und seine Pein laut hinauszuschreien. Nur
mit übermenschlicher Disziplin schaffte er es, Haltung zu bewahren und sich
nichts in der Öffentlichkeit anmerken zu lassen. Nur wenn er sich allein und
ungestört wusste, erlaubte er sich einen Moment der Schwäche. Inoperabel,
hatten die Ärzte gesagt und bedauernd den Kopf geschüttelt. Sie hatten ihm
Morphium dagelassen, für den Fall, dass er die Schmerzen nicht mehr ertragen
konnte. Mit Mühe zog Bentivoglio die unterste Schublade seines Schreibtisches
auf. Da lag es, das schwarze Kästchen mit den Spritzen, die die glasklare Flüssigkeit
enthielten. Aber er würde nicht eine einzige davon anrühren. Hätte der Pater
General die Journalistin Rabea Rosenthal heute Morgen belauschen können, als
sie Lukas von Stetten darauf ansprach, dass Bentivoglio der Altherrenfluch
getroffen hätte, er hätte ihr sofort beigepflichtet.
Er, Bentivoglio, der amtierende Generalobere der Jesuiten allein
wusste, die Krankheit war ein Fluch. Sein Fluch …
Er hatte sich schwer an Gott versündigt. Alles wäre anders
verlaufen, wenn er damals stark geblieben wäre und auf seinen Bruder gehört
hätte, aber er hatte der Versuchung des Ehrgeizes nicht widerstehen können. So
wie der Krebs nun seinen Körper, hatte sein Ehrgeiz vor langem seinen Geist
zerfressen. Und Gott hatte ihm dafür die schlimmste aller Strafen aufgebürdet.
Er hatte ihn in seinen hochfliegenden Plänen unterstützt und ihn mit dem
höchsten Amt seines Ordens verhöhnt. Nur damit er umso tiefer fallen konnte.
Von dem Tage an, an dem er das Amt des Pater General übernommen hatte,
durchlebte er jeden Tag seine persönliche Hölle auf Erden. Kein Tag und keine
Nacht, in der ihn nicht in jeder einzelnen Minute das Wissen um seinen feigen
Betrug und seine Schuld peinigte. Und doch verweigerte ihm Gott bisher die
nötige Kraft, diesen Betrug zu berichtigen. Der alte Jesuit wusste warum, Gott
hielt ihn dessen für nicht würdig. Mehr als dreißig Jahre ließ der Herr ihn
warten. So waren die Schmerzen, die ihm seine Krankheit bereitete, willkommene
Buße, denn er wusste, die Stunde der Wahrheit, aber auch die Stunde seiner
Erlösung rückte näher.
So endete nun alles und begann von neuem. Dies nun war sein
Golgatha und er war fest entschlossen, den Weg des Kreuzes bis zum Schluss zu
gehen. Aber zuvor musste er noch den schweren Fehler bereinigen und eine Tat
gutmachen, die nun schon dreißig Jahre zurücklag. Es war ein Anruf seines
Bruders Guiseppe gewesen, der die Dinge damals in Gang gebracht und sein
Schicksal für immer verändert hatte.
Im Auftrag Gottes
Spätsommer 1979, Santo Stefano di
Sessanio/Mittelitalien
Die Luft flirrte vor Hitze. Das tat sie schon seit Monaten.
Giuseppe Bentivoglio, seines Zeichens Maurer und Vorarbeiter eines kleinen
ortsansässigen Bauunternehmens, fluchte und schwitzte. Wütend zerrte er an
seinem am Körper klebenden Unterhemd, ohne dass es ihm Erleichterung gebracht
hätte. Giuseppe war ein leicht cholerischer, mittelgroßer Mann Ende dreißig. In
seiner Region, etwa 90 Kilometer südlich von Pescara tief im Landesinneren
gelegen, hatte es seit mehr als drei Monaten nicht mehr geregnet. Alles war
dürr, die Felder und Wiesen braun, das Wasser so knapp, dass die
ENEL-Wasserwerke es bereits vor Wochen rationiert hatten. Die örtlichen Bauern
fürchteten um ihre Ernte, die in dieser Gegend hauptsächlich aus Safran, Oliven
und Wein
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