Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
um.
„Mann, die hat ja mehr Schuhe als ich“, erklang wie auf Kommando
deren Stimme, gewürzt mit einer gehörigen Prise Unglauben, dass es jemanden
gab, der sie in dieser Disziplin übertraf. Mit einem riesigen Gebilde von Hut,
wie geschaffen für das berühmte Pferderennen in Ascot, dazu eine gewaltige
Federboa in der angesagten Farbe Altrosa um den Hals, tauchte sie aus dem
Ankleidezimmer der Contessa auf.
„Lucie, bist du verrückt geworden? Du kannst doch nicht in fremdem
Eigentum herumwühlen. Leg sofort die Sachen wieder zurück. Wenn dich jemand
sieht“, schalt Lukas seine Schwester. Gehetzt sah er sich um, als erwartete er,
gleich Commissario Grassa durch die Türe hereinspazieren zu sehen, um sie auf
frischer Tat bei einem Einbruch zu ertappen.
Nun war es an Lucie, unbekümmert mit den Schultern zu zucken. Ganz
offensichtlich besaß der junge Priester bei den beiden Damen auf der nach oben
offenen Autoritätsskala null Punkte.
„Autsch“, entfuhr es Lukas. Etwas Spitzes hatte sich in seinen
nackten Knöchel gebohrt. Er sah hinunter und erblickte den kleinen Shih-Tzu der
Contessa, dem das Warten augenscheinlich zu bunt geworden war und nun
entschlossen Gewalt anwendete, um einen der Zweibeiner dazu zu bringen, endlich
die Tür zu öffnen. Lukas beugte sich zu dem Hund hinab und tätschelte seinen
Kopf: „Ist ja gut, du hast vollkommen Recht. Suchen wir dein Frauchen.“
Zufrieden, die Aufmerksamkeit der Zweibeiner wieder auf sich gelenkt zu haben, drehte
die Hündin bei und trabte zurück zu der verschlossenen Tür. Lukas, die Hand
bereits an der Klinke, zögerte und warf Rabea und Lucie einen unsicheren
Seitenblick zu, aber von den Frauen war keine Unterstützung zu erwarten. Entschlossen
klopfte Lukas an: „Contessa, sind Sie da drin, können Sie mich hören? Ich bin
es, ihr Nachbar, Pater von Stetten. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich Ihren
Hund im Treppenhaus gefunden habe. Contessa, hören Sie mich?“ Er klopfte
erneut. Keine Antwort. „Contessa, ich werde jetzt reinkommen, bitte nicht
erschrecken. Ich mache meine Augen zu, ja? Contessa?“ Immer noch keine
Reaktion.
Ganz langsam drückte Lukas die vergoldete Klinke herab und öffnete
vorsichtig die Türe. Sie schwang lautlos nach innen auf und gleichzeitig ging
das Licht im Bad an. Offenbar war diese mit einem Bewegungsmelder gekoppelt.
Direkt neben ihm erklang ein erstickter Laut. Rabea hatte
ihn ausgestoßen und Lukas am Arm gepackt. Lukas öffnete die Augen, gerade als seine Schwester Lucie entsetzt
aufschrie.
Der kleine Hund sprang hektisch wedelnd vor einer riesigen
Badewanne auf und ab; er hatte sein Frauchen gefunden: Die Contessa lag lang
ausgestreckt in der vollen Wanne. Aber sie nahm nicht etwa ein entspannendes
Schaumbad, sondern sie war mausetot.
„Oh mein Gott, ich fasse es nicht. Das hat uns gerade noch
gefehlt. So eine verdammte, verquirlte Scheiße“, schimpfte Rabea los. Die
Hündin gab zur Bestätigung ein trockenes Wuff von sich, es klang beinahe wie
ein beipflichtendes „Ganz genau.“
Fassungslos starrte Lukas auf die Contessa. Mit allem hatte er gerechnet,
nur damit nicht. Mit einer hastigen Bewegung riss sich Lucie das Ungetüm von
Hut vom Kopf, als ob sie befürchtete, dass die Contessa aus dem Jenseits
Eigentumsansprüche an sie stellen könnte.
„Tja, Bruder Lukas, das nenne ich eine saftige Pechsträhne“,
meinte Rabea. „Du hast nicht zufällig letzthin in den höheren Göttergefilden
Missfallen erregt, oder? Wärst du nicht erst gestern Abend wegen Mordverdachts
festgenommen worden, bräuchten wir uns keine Sorgen zu machen. Aber so sitzen
wir bis zum Hals in der Patsche. Was machen wir jetzt? Irgendwelche Vorschläge?“
Erwartungsvoll blickte Rabea in die Runde.
Lucie reagierte nicht. Sie starrte wie hypnotisiert auf die Leiche
der Contessa. „Was meint ihr, ob sie in der Badewanne ertrunken ist?“, fragte sie
nun leise flüsternd, als ob sie glaubte, die Contessa könnte durch zu viel Lärm
vielleicht aufwachen.
„Also wirklich, Lucie. In ihrem Chanel-Kostüm?“, erwiderte ihre
Freundin und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Oh“, hauchte diese. „Stimmt ja, hatte ich gar nicht bemerkt. Ich
habe nur die toten Augen gesehen. Sie wirken so unheimlich, findet ihr nicht?“,
rechtfertigte sich Lucie mit einem Schaudern in der Stimme.
Die Contessa bot in der Tat keinen Anblick für zarte Gemüter. Der
Ausdruck ihrer toten, weit aufgerissenen Augen offenbarte dem Betrachter das
ganze
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