Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
auf und wandte sich Lucie zu: „Signorina
von Stetten, Sie sind eine Augenweide und ich genieße jede Minute mit Ihnen,
aber meine Geduld ist nun zu Ende. Ich muss Sie dringend bitten, mir zu sagen,
wo sich Ihr Bruder, der Jesuit, derzeit aufhält.“
„Mein Bruder? Er ist heute schon sehr früh weggegangen, hat mir
aber nicht gesagt, wohin.“ Das stimmte sogar. Rabea und Lukas hatten ihr
tatsächlich nicht genau gesagt, wohin sie wollten, jedoch versprochen, bis zum
Abend zurück zu sein.
Grassa stand auf und stellte sich direkt vor sie hin, um ihr
einige Sekunden lang sinnierend in die Augen zu blicken. Lucie erwiderte seinen
Blick offen, bemüht, alle Unschuld der Welt in ihre blauen Augen zu legen.
Nun beugte sich Grassa tief zu ihr hinunter und stützte dabei
seine Hände auf ihren Sessellehnen ab. Beinahe Nasenspitze an Nasenspitze hob
er leise an: „Signorina von Stetten …“, als Lucie ihn mit einem gewinnenden
Lächeln unterbrach: „Sagen Sie doch Lucie zu mir, Commissario. Wie ist Ihr
Vorname?“
„Riccardo“, antwortete er, ließ sich aber nicht beirren: „Lucie,
ich fühle mich geschmeichelt und ich weiß Ihren Versuch, mit mir zu flirten,
sehr wohl zu schätzen, aber glauben Sie mir, Ihr Bruder befindet sich in einer
äußerst misslichen Lage. Also, ich frage Sie noch einmal: Wo ist er?“
„Ich weiß es wirklich nicht, Riccardo. Er sagt mir nicht immer,
wohin er geht. Aber lassen wir doch das förmliche Sie, jetzt, wo wir unsere
Vornamen kennen.“
„Also gut, Lucie. Wo ist deine rothaarige Freundin? Rabea hieß sie
doch, nicht wahr? Ist sie mit deinem Bruder weggegangen?“
Diesmal zögerte Lucie nicht mit ihrer Antwort, es war eine
Information war, die sie preisgeben durfte: „Ja, das stimmt. Die beiden sind
zusammen weg.“
Ihre Antwort schien Grassa zu befriedigen. Er richtete sich auf
und ging ein paar Schritte auf das Fenster zu. Einen Augenblick sah er mit auf
dem Rücken verschränkten Händen auf den trotz der frühen Stunden großen
Menschenauflauf auf der Via dei Coronari hinaus. Die ganze Nachbarschaft war
auf den Beinen. Soeben fuhr der schwarze Leichenwagen des gerichtsmedizinischen
Instituts vor, um die alte Gräfin abzuholen.
Grassa schien kurz zu überlegen, dann drehte er sich zu ihr um:
„Lucie, ich bin froh, dass du mich hierüber nicht belogen hast. Wir wissen,
dass dein Bruder mit Rabea zusammen verschwunden ist. Da er unter dem Verdacht
steht, den Generaloberen der Jesuiten ermordet zu haben, habe ich ihn seit
gestern Nacht von meinen Beamten überwachen lassen. Leider bin ich soeben informiert
worden, dass der Beamte, der damit beauftragt war, tot aufgefunden wurde.
Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.“
Die Neuigkeit schockierte Lucie zutiefst und sie sank förmlich in
ihrem Sessel in sich zusammen. Schon wieder ein Mord. Wenn das stimmte, dann
befanden sich Lukas und Rabea in Lebensgefahr.
Grassa hatte Lucies Reaktion über die Ermordung seines Beamten
genau beobachtet. Sein Instinkt sagte ihm, dass ihre Bestürzung echt war und er
konnte sich sicher sein, dass sie in die Angelegenheit tatsächlich nur indirekt
verwickelt worden war.
„Du siehst selbst Lucie, wie ernst die Situation ist. Drei Morde
in weniger als 24 Stunden. Findest du nicht auch, dass es genug Tote sind für einen
Tag? Der Beamte von heute Morgen ist Familienvater und hinterlässt zwei kleine
Kinder. Was soll ich seiner Witwe sagen? Darum, Lucie, wenn du irgendetwas
weißt, das uns bei der Aufklärung der Morde weiterhilft, dann musst du es mir
jetzt sagen.“ Und dann wandte er seinen ältesten Trick an. Er senkte seine
Stimme zu einem verschwörerischen Ton herab und mit scheinbarem Verständnis
beteuerte er: „Ich weiß, Lucie, dass du deinen Bruder für unschuldig hältst.
Dann hilf mir, die wahren Täter zu finden. Dein Bruder Lukas und deine Freundin
schweben in höchster Gefahr. Ich kann beide beschützen, aber nur, wenn du mir
alles sagst, was du weißt. Du musst mir sagen, wohin sie gegangen sind und was
sie vorhaben.“
Unsicher sah Lucie zu dem Commissario auf. Grassa, der spürte,
dass sich die Situation zu seinen Gunsten entwickelte, ging vor Lucie in die
Hocke und sah sie eindringlich an.
Lucie seufzte. Riccardo hatte zwar Recht, aber sie beschloss, ihm
nur soviel zu verraten, wie es die Situation erforderte und auf keinen Fall das
Schließfach zu erwähnen. „Also gut. Nachdem wir heute Nacht den verletzten Hund
der Contessa im Treppenhaus gefunden hatten,
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