Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
überhaupt nicht stattgefunden
hätte. Erst der Mord an seiner unschuldigen Nachbarin wurde für Lukas zum
Auslöser, seinen Eid zu brechen und die beiden jungen Frauen ins Vertrauen zu
ziehen.
Dies bewies einmal mehr, dass das Schicksal stets seiner eigenen,
unberechenbaren Planung folgte.
Im Badezimmer der ermordeten Contessa herrschte weiter verstörtes
Schweigen.
Rabea fasste sich schließlich als Erste. Vorsichtig pickte sie mit
Daumen und Zeigefinger das Corpus Delicti aus Lukas Handfläche und lief damit
zum Fenster. Das erste Morgenlicht fing sich kurz aufblitzend auf dem goldenen
Messing. Konzentriert musterte sie den vermeintlichen Unheilsbringer, drehte
und wendete ihn einige Sekunden lang hin und her, als ob sie hoffte, dass sich
sein Rätsel direkt vor ihren Augen offenbarte. Schließlich brachte sie die
Sache auf den Punkt: „Da hat sich Bentivoglio also in die paradiesischen
Gefilde davon gemacht und dich alleine auf einem Sack Problemen sitzen
gelassen. Das nenne ich Pech am Stück. Die zentrale Frage lautet also: Was
genau befindet sich in dem verflixten Schließfach?“
Bevor Lukas darauf etwas erwidern konnte, schreckte sie ein durch
Mark und Bein gehendes Geheul auf. Alle drei fuhren herum, während der Hund wie
eine behaarte Kanonenkugel zur Tür schoss. Dort stand eine ältliche Matrone in
einem geblümten Hausfrauenkittel und schrie sich die Seele aus dem Leib.
Anna-Maria Petrullo verfluchte ihren Mann Giancarlo und ihren Sohn
Carlino. Alle beide Taugenichtse, die größten, die Rom
je hervorgebracht hatte. Wenigstens hatte sich Giancarlo schon vor zehn Jahren
aus dem Staub gemacht, wahrscheinlich verrottete er längst in irgendeiner
Gasse. Aber leider hatte er ihr Carlino, seinen Meisterlehrling, dagelassen.
Seither verging kein Tag, an dem ihr Sohn ihr keinen Kummer
bereitete. Außer er saß im Gefängnis. Zurzeit war er jedoch wieder einmal
draußen. Gestern Abend war er erneut zu ihr gekommen und hatte sie um Geld
angebettelt, hatte geheult und sie angefleht. Er hatte wieder gespielt. Und
verloren. Nun waren seine Spielkumpane hinter ihm her und verlangten ihr Geld
von ihm. Dabei hatte er seiner Mutter beim letzten Mal, als sie ihn einmal mehr
ausgelöst hatte, beim Leben der heiligen Jungfrau Maria geschworen, dass nun
endgültig Schluss damit sei.
Sie hätte es besser wissen müssen. Ihr ganzes armseliges Leben
hatte sie mit Putzen, Wäschewaschen und Bügeln für andere Leute verbracht. Ihr
Rücken war dabei krumm geworden. Nie hatte sie eine Lira für sich sparen
können. Ihr Säufer von Mann und Versager von Sohn hatten stets ihr Geld
gestohlen. Sooft sie die beiden aus ihrer kleinen Wohnung, die aus zwei
feuchten Zimmern im Souterrain einer alten Mietskaserne bestand, hinauswarf, so
oft kamen sie zurückgekrochen, wie menschliche Bumerangs. Sie war ein Wirt, der
seine Schmarotzer nie mehr los wurde.
Aber Carlino war immer noch ihr Sohn. Sie konnte nicht dagegen an.
Schweren Herzens hatte sie sich also gleich am frühen Morgen auf den Weg zur
Contessa gemacht, bei der sie seit über zehn Jahren als Reinemachefrau
beschäftigt war. Die Contessa war keine einfache Chefin, allzu anspruchsvoll,
aber sie zahlte einen anständigen Preis für gute Arbeit und dies stets
pünktlich und in bar. Schon einmal hatte Anna-Maria sie um einen Vorschuss
gebeten, unter dem Vorwand, dringend den Arzt bezahlen zu müssen. Die Contessa
hatte sie zwar misstrauisch beäugt, aber dann doch ihre Geldbörse gezückt. Vielleicht
konnte sie sie auch heute noch einmal zu einem Vorschuss bewegen.
Anna-Maria besaß einen Schlüssel für die untere Haustür, jedoch
keinen für die Wohnung, dazu war die Contessa zu misstrauisch - wie alle Menschen,
die für ihr Leben gern andere ausspionierten. Ihre Arbeitgeberin stand jeden
Morgen pünktlich um sechs auf. Anna-Marias Dienst bei ihr begann um sieben. Sie
sperrte das schwere Eingangsportal auf und stapfte die Treppe schwerfällig
nach oben. Anna-Maria war nervös. Sie hatte immer etwas Angst vor der
gestrengen Gräfin. Vor deren Wohnungstür blieb sie kurz stehen. Schwer atmend
lehnte sie sich dagegen und wäre dabei um ein Haar samt der nur angelehnten
Türe in die Wohnung gefallen. Im letzten Moment
konnte sie sich fangen, indem sie sich an dem Türrahmen festklammerte.
Anna-Maria wunderte sich über die offene Türe und rief zaghaft nach der
Contessa. War sie schon mit dem Hund draußen und hatte vergessen, die Türe
richtig hinter sich zuzuziehen?
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