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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Verschwörung gleich durchschauen, der Fuchs.«
    »Ein Fuchs im Kampf mit zwei Schlangen, die sich zu wehren wissen«, sagte Margaret. Sie ließ die Mutter los, die wieder ernst blickte.
    »Das alles ziemt sich überhaupt nicht, das weißt du.«
    »Ich weiß zu viel, liebe Mutter. Viel zu viel. Vor allem, dass ich ihn bald wieder treffen werde, sehr bald schon…«
    »Ich will nichts davon wissen«, sagte die Dame und wandte sich wieder den Rüben zu. »Sei nur vorsichtig! Wo nun die Seelenpest an jede Türe klopfen kann.«
    »Das macht mir Angst, liebe Mutter.«
    »Jetzt sagt man, dass Verbrecher dahinter stecken, kaltblütige Mörder, Spanier, Franzosen, Italiener…«
    Die Küchentür wurde grob aufgestoßen und Raspale schleppte zwei Eimer Wasser herein. Er stellte sie schnaufend unter dem Fenster ab, wo das Steinbecken war, drehte sich um und grüßte stumm, als hätte er die Küche nicht vor ein paar Minuten erst verlassen. Dann rieb er sich die schwarzen Hände, klapperte in seinen schweren Holzpantinen zur Esse und prüfte die Glut. Er zog die Hakenstange herunter und nahm einen großen, eisernen Topf ab, den er auf den Tisch stellte. Mit einer weiten Bewegung wischte er die geschnittenen Rüben vom Tisch in eine Schale und warf sie in den Topf, schüttete Wasser darüber und hängte den Kochtopf an die Hakenstange.
    »Arnos-Abadja«, murmelte er. Die beiden Frauen nickten ihm zu und schoben die Reste zusammen. Raspale trug, wie immer, seine rote Fuchsfellkappe. Die Kappe hatte ihm vor Jahren das Leben gerettet, als er einmal von Wölfen verfolgt worden und ernsthaft in Gefahr gewesen war. Er verlor die Kappe, die Wölfe stürzten sich auf sie und Raspale hatte flüchten können. Am nächsten Tag war er zurückgekehrt und hatte die Kappe wiedergefunden. Sie wurde instand gesetzt, und ihr Besitzer schwor, fortan alle Grüße, Bitten und Dankesformeln nur noch in einer eigenen Sprache auszusprechen, die er aus den Namen der Apostel selbst entwickelt hatte. Haggai hieß »danke«, Maleachi »bitte« und Zephania bedeutete »willkommen«.
    »Arnos-Abadja«, wiederholte Raspale leise. Was überdies so viel wie »Ich bin fertig« hieß.
    Er nahm die Schale mit den Abfällen, trug sie zur Tür und klapperte nach draußen zu den Ziegenställen.
    »Mein Waldemar war jedenfalls alles andere als vollkommen«, sagte die Mutter unvermittelt.
    Margaret blickte sie aus großen Augen an.
    »Er hatte keine Ohren. Er war ohne Ohren geboren und hatte nur zwei kleine Löcher, wie ein Huhn.« Lady Alice gackerte vergnügt.
    »Natürlich hat er viel gelitten, man wollte ihn verbrennen. Er sei ein Teufel. Aber ich weiß, er konnte genauso gut hören wie jeder andere. Er trug eine lustige Kappe, ein bisschen wie Raspale. An der Kappe hingen links und rechts lange Klappen, so dass man die Missbildung nicht sah. Eines Tages, als ich es noch gar nicht wusste, kam er zu mir und sagte: Soll ich dir was zeigen, was du noch nie gesehen hast? Ich kriegte es schon mit der Angst zu tun…« Sie kicherte. »Da riss er sich die Kappe vom Schädel und ich starrte ihn nur blöde an.«
    Margaret hielt sich einen Finger an den Mund. Raspales Pantinengeklapper wurde wieder lauter. Im nächsten Moment ging die Tür auf, und der Alte trug die leere Abfallschale herein, rieb sie mit einer Hand voll Wasser ab und stellte sie in das Regal zurück, aus dem er sie genommen hatte.
    Er nestelte an seiner Kappe. Schließlich tappte er zur Flurtür, verbeugte sich und lief hinaus.
    »Ich gehe zum Vater«, sagte Margaret. »Sie sind auf meiner Seite, nicht wahr, liebe Mutter?«
    Lady Alice antwortete nicht. Sie ging zur Tür, die von Raspale, wie immer, nicht geschlossen worden war, und hielt sie auf. »Gott schütze dich, mein Kind.«
    Margaret küsste sie auf die Wange und lief hinaus.
     
     
    D AS S TUDIERZIMMER DES V ATERS lag in einem Turm, der sich an das Wohnhaus schmiegte, und war nur über eine dunkle, enge Wendeltreppe zu erreichen.
    Die Treppe hatte Margaret schon Angst eingejagt, als sie noch ein Kind gewesen war. Das Schlimmste war die Drehung um sich selbst und dass man vor und hinter sich dasselbe sah, die Steine bloß, das triste Mauerwerk. Hinzu kam das Geräusch der Schritte, das von den Wänden geisterhaft zurückgeworfen wurde.
    Margaret raffte das weite, lange Kleid ein Stück und kletterte empor. Die Treppe drehte falsch herum. Nichts wirklich Gutes, Frommes drehte sich nach links. Wenn man sich links über die eigene Schulter schaut,

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